FASH 2019 – Modefotografie / 7. Mai 2019
Die Kraft der Idee
Franco P. Tettamanti hat die Kollektionen der Preisträger des European Fashion Award FASH von 2015 bis 2017 fotografiert. FASH-Direktor Joachim Schirrmacher sprach mit ihm über das menschliche in der Mode, prägnante Bilder mit emotionaler Botschaft und wie Mario Testino ihn auf der Straße entdeckte.
Was war anders, als Sie Arbeiten der Preisträger fotografierten, im Vergleich zu den Aufnahmen für Ihre Kunden wie Dior, Louis Vuitton, Akris?
Franco P. Tettamanti: Das Vorgehen ist eigentlich gleich: man erarbeitet und erhofft sich eine gute Kommunikationsstrategie mit passender Bildsprache. Bei bestehenden Marken sind wichtige Recherchen zu Markt, Marke, Konsument, Produkt und Wertversprechen bereits gemacht oder bestimmt worden. Die jungen Designer erlebten meist zum ersten Mal, das ihre Kollektion von einem ganzen Team neu gesehen wurde. Das lies sie oft staunen.
Was zeichnet Ihre Fotografien aus?
Mich interessiert das Menschliche, die Persönlichkeit und Emotionalität.
Wie übersetzen Sie dies ins Bild?
Von den drei Phasen einer Fotoproduktion – der Vorbereitung, dem Shooting und der Postproduktion, ist für mich die Planung das Wichtigste. Wenn ich mit einem ungenügenden oder gar schlechten Konzept ans Werk gehe, ist es um das Schicksal des Bildes fast schon geschehen. Eine gute Idee ermöglicht es mir erst, mich während den Aufnahmen auf das Wesentliche zu konzentrieren, eben das Menschliche, die Persönlichkeit und ihre Emotionen.
Worauf kommt es Ihnen bei dem Konzept an?
Die Anforderungen an das Resultat sind für mich klar: Die Bilder müssen eine emotionale Verbindung zum Betrachter aufbauen können. Bei einem Portrait überlege ich mir, welche Facette der Persönlichkeit ich in den Vordergrund stellen möchte und welche emotionalen Situationen diese unterstreichen. Bei Kampagnen geht es um identifizierbare Wertvorstellungen. Wie kann ich diese verbildlichen? Mit welchen Symbolen kann sich ein Betrachter identifizieren? Gerade in der Mode stellt man sehr oft Dinge in den Vordergrund. Das reicht mir nicht und ich glaube der Bevölkerung oft auch nicht.
Haben Sie dafür Beispiele?
Für meine Kampagne des Gepäckherstellers MCM wählte ich eine eigenständige, zeitgenössische Nomadin, die an geheimnisvolle und eindrückliche Orte reist. Als erstes Sujet wählte ich die Wüste mit ihrem atemberaubenden Sternenhimmel, davon ist schließlich jeder angetan.
Ganz wichtig bei Markenwerten ist, dass sie wiederholt werden können – etwa wie James Bond seinen Martini geschüttelt und nicht gerührt trinkt. Nur so funktioniert die gewünschte Assoziation.
Bei meinem Portrait von Christian Louboutin sah ich in ihm einen Paradiesvogel. Das Foto sollte farbig, witzig und mystisch sein. Wenn ich so genau weiß, was ich will, dann brauche ich wie hier keine fünf Minuten für das Foto.
Modefotografie ist Teamarbeit. Worauf kommt es Ihnen an?
Das Bild steht und fällt mit der engen Zusammenarbeit mit der Stylistin. Wenn es keine präzise Idee und Aussage bezüglich der Mode gibt, dann können Sie noch so gut fotografieren – es wird vielleicht ein gutes Portrait, aber ein relativ schlechtes Modefoto.
Neben der fachlichen Kompetenz ist die menschliche Komponente enorm wichtig. Mit Leuten mit denen Sie sich verstehen, können Sie frei, offen und konzentriert arbeiten. Wenn Sie alles richtig gemacht haben, entsteht etwas magisches, etwas besseres, als wenn man alles alleine gemacht hätte. Das ist ein sehr schöner Augenblick, den ich genieße.
Was ist für Sie ein gutes Modefoto?
Es gibt ganz einfache Fotografien vor einer weißen Wand, die von der Mode her so ausdrucksstark oder so stark kombiniert sind, dass sie unumgänglich sind. Ich mag die Definition von Gut als unumgänglich. Dann könnte man es sogar als hässlich empfinden, aber man kann es nicht ignorieren.
Für mich hat alles eine Bedeutung und alles sollte eine Bedeutung haben: das Styling, die Frisur, das Make-up, das Model, seine Ausstrahlung und der formale Aspekt der Fotografie. Alles sollte so zueinanderpassen, dass man sich am Ende gar nichts anderes mehr vorstellen kann – das es die einzige, unumgängliche, visuelle Lösung des Problems ist. Das sollte doch das Ziel sein, oder?
Sie haben hart geurteilt: „90 Prozent der Modefotografie ist leider fürchterlich umgesetzt“.
Sie verfehlt ihr Ziel, weil sie zu wenig prägnant ist und eine zu schwache emotionale Botschaft hat. Die Mode ist sehr selbstreferentiell und vielem liegt eine sehr große Subjektivität zu Grunde.
Vor allem können sich offensichtlich ganz viele Leute nicht mit diesen Bildern identifizieren. Sie wirken auf sie abstoßend. Sie stören sich an zu dünnen Models, dem oberflächlich Frivolen. Die Bilder werden akzeptiert, weil es keine Alternative gibt, aber man versteht sie nicht.
Peter Lindberg sagte dem Schweizer Tagesanzeiger: „Ich wage zu behaupten, dass kein einziger Fotograf was Neues geschaffen hat in den vergangenen fünfzehn Jahren. … Die Leute gucken die ganze Zeit nur Bilder von andern an und sagen: Lass uns das hier machen.“
Ich bin sehr seiner Meinung. Wir leben seit längerem in einer Krise. Das hat dazu beigetragen, dass die Risikobereitschaft sehr abgenommen hat. Man will sich absichern. Vieles scheint geklont. Wenn man bei Anzeigen die Logos abdeckt, sieht alles gleich aus.
Wie haben sich die Budgets verändert?
Man will mehr Bilder in kürzerer Zeit für weniger Geld. Produktionen, die man früher groß fotografierte, werden betriebsintern gemacht. Und die Geschwindigkeit nimmt dermaßen zu, dass die Wichtigkeit von einem einzelnen Bild abnimmt.
Von unseren Preisträgern erwarten wir Innovation. Warum tun sich Auftraggeber mit einer eigenständigen Bildsprache so schwer?
Modedesigner verantworten oft auch die Kommunikation. Ob sie die Regeln vom Branding verstanden haben, ist etwas ganz anderes. Zum Teil ändert man die Strategie von Saison zu Saison komplett: einen anderen Fotografen, eine andere Bildsprache, immer wieder Neues. Ich glaube für den Konsumenten ist es schwierig dem zu folgen.
Es ist sehr viel wert, wenn Sie ein Image kreieren, das wiedererkennbar ist und konsequent über Jahre umsetzen. Sei es mit einer charakteristischen Bildsprache, einer Lichtstimmung oder eben dem Martini von James Bond.
Nehmen Sie Chanel, die immer eine emanzipierte eigenständige Frau porträtiert. Immer wieder Coco Chanel auf immer neue Art und Weise. Das ist die hohe Kunst. Auch Guess hat ein sehr wieder erkennbares Bild: großbusige Frauen in schwarz/weiß mit tollem Haar.
Viele Fotografen fordern „carte blanche“ mit dem Versprechen der Eigenständigkeit. Geht dies auf?
Nicht im Sinne: „Du kannst machen was Du willst“. Er wird ja aus bestimmten Gründen ausgewählt und man müsste mit ihm die drei, vier Sachen, die man kommunizieren will, besprechen. Dann kann er ein Konzept vorstellen. Wenn man aber einverstanden ist, sollte man ihn machen lassen. Das Problem ist bei einer Kampagne, dass zehn Leute mitreden. Am Anfang wollte man Schärfe, am Ende hat man wieder einen Mischmasch. Es ist halt sehr viel Eitelkeit mit im Spiel.
Wolfgang Tillmanns schrieb: „Ich habe den Modekontext immer als Vorwand benutzt, um meine Bilder zu zeigen. … Solange man irgendwelche Mode-Credits anführt, kann man weitgehend machen, was man will. … Ein herrlicher Spielplatz.“
Einige haben einen mehr intellektuellen Anspruch an die Mode und andere sehen sie als reines Lustobjekt.
Mir wird gesagt, dass viele in der Modebranche Angst vor Intellekt haben. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Viele finden meine Überlegungen zwar interessant, haben sich selber aber noch nie solche Gedanken gemacht. Für sie ist die Mode ein kurzweiliger Lustplatz, der morgen schon wieder anders aussieht.
Warum?
Ich habe das Gefühl sie wollen jedes Mal wieder frei sein.
Sprechen wir über Ihren Werdegang. Sie haben eine erste Karriere als Arzt, praktizierten als orthopädischer Chirurgie in Zürich und arbeiteten als Arzt in Kapstadt und New York. Wie beeinflusst dies ihren Blick, ihre Arbeit?
Sehr! Es geht als Fotograf ja nicht darum, den Auslöser zu drücken oder das Licht aufzustellen. Sondern es geht darum etwas zu kreieren und zu erzählen. Meine Arbeit ist beeinflusst von all den Erfahrungen die ich in meinem Leben habe. In der Medizin habe ich wissenschaftlich denken gelernt. Dies beeinflusst wie ich etwas vorbereite. Ich habe gelernt, die Probleme und Bedürfnisse der Patienten schnell zu erkennen, empathische Lösungen zu finden sowie effizient zu arbeiten. All das hilft mir heute.
Was war der Auslöser der Ihre Leidenschaft zur Fotografie zur Profession werden ließ?
In der Fotografie habe ich gefunden was ich in der Medizin nicht fand. Dennoch war der Übergang fließend. Ich habe für ein Jahr die Medizin unterbrochen und bin als Fotograf nach New York gegangen.
Was haben Sie gefunden?
Eine unglaublich große Befriedigung: Glück, Freude an der Arbeit und der Kunst. Als freischaffender Fotograf bin ich eigenständig und unabhängig. Das gefällt mir sehr gut.
Wie entstand Ihr Wissen als Fotograf?
Über das Selbststudium. Fotografie hat für mich sehr viel mit Erfahrung zu tun. Wegweisend war auch das Jahr in New York, wo ich nach ein paar Monaten Mario Testino und Stephen Gan kennenlernte.
Wie wurde Mario Testino auf Sie aufmerksam?
Ich kam gerade von einem Gespräch bei einer Modell-Agentur als er mich ansprach. Meine Fotos gefielen ihm so gut, dass er mich ins Büro des Modemagazins Visionaire bestellt hat, wo eben Stephen Gan war. Die Begegnung und die daraus entstehende Freundschaft mit Mario waren mir sehr wichtig, aber es ging nie darum, dass er mir die Türen öffnet. Ich wollte den Fisch nicht geschenkt, ich wollte wissen, wie ich ihn selber fange.
Man muss es am Ende selber können.
Man muss es können, aber zuvor die Chance kriegen. Und Feedback auf Bewerbungen zu bekommen wird schwieriger. Das hat mit dem „Paradox of Choice“ zu tun, wie es der Autor Barry Schwarz nennt. Sie können so viel Aufwand betreiben wie Sie möchten: die Leute erinnern sich eine Woche später nicht, ob sie es bekommen haben. Wie kann man sich nicht an das erinnern, das so schön und aufwendig eingepackt, mit einem handgeschriebenen Brief kam? Offenbar, weil sie es jeden Tag bekommen. Weil auch andere diesen Aufwand betreiben. Am besten sind immer noch Empfehlungen und vor allem das persönliche Gespräch!
Was hilft noch um als Kreativer zu überzeugen?
Gerade für junge Gestalter ist es heute unglaublich schwierig ihren eigenen Weg zu finden. Um seine ursprünglichen Interessen, Stärken und Ansichten der Dinge wieder zu finden, sollte man sich eine gewisse Zeit allen auffindbaren Einflüssen und Inspirationen aussetzten, bis zum Überdruss, um dann alles wegzuschieben und zu warten, dass das Eigene wieder zu spriessen beginnt.
Also nicht zehn Jahre bei einem Designer assistieren. Dann machen sie ziemlich sicher genau das, was er auch gemacht hat. Sondern bei allen die wichtig sind. Damit sie im Überfluss wieder frei werden und genau das finden, das ursprünglich aus ihnen heraus drängte.
Warum engagieren Sie sich pro bono beim European Fashion Award FASH?
Albert Kriemler, Creative Director von Akris hat mich auf den FASH aufmerksam gemacht und vorgestellt. So kam ich zu der Ehre, mitwirken zu dürfen. Für mich ist die Zusammenarbeit mit Jugendlichen ein sehr spannendes Vergnügen und beim Sichten von über 100 Kollektionen und Portfolios lerne und sehe ich viel. Darunter viele gute Designerinnen und Designer mit bemerkenswerten Arbeiten. Ich muss selber nicht zwingend mögen, aber es soll spezifisch, und im besten Sinne unumgänglich sein.
Ich bin von der Kompetenz der involvierten Personen sehr überzeugt. Die SDBI bietet mit ihrem European Fashion Award FASH jungen Leuten genau das, was sie brauchen: eine Chance, eine Startmöglichkeit mit viel Öffentlichkeit.
Was haben Sie von Ihrem Engagement beim European Fashion Award FASH bisher mitgenommen?
Die drei Jahre mit Sitzungen, Shootings, Workshops, kreativen Auseinandersetzungen und Preisverleihungen haben auch einen Einfluss auf meine Karriere genommen. Ich habe durch mein Engagement Neues und neue Menschen kennengelernt, woraus andere neue Dinge entstanden sind. Ich habe vor allem aber versucht, zu geben und die wenigen Dinge, die ich schon gelernt habe, weiterzugeben.
Wir loben neu den Sonderpreis Modefotografie aus. Wann funktioniert Mode auf einem Foto? Was raten Sie den Studierenden?
Bleibe nahe bei dem, was Dir ursprünglich durch den Kopf ging, es geht um die Aussage, die Emotion. Bilde es so ab, wie Du es selber gesehen hast, nicht zu gemacht, zu kompliziert aufgebaut. Das kannst Du ganz einfach mit dem iPhone fotografieren. Entscheidend ist die Idee, die Vision, so gut wie möglich rüberzubringen. Denke nicht „man macht es ja so und so“ obwohl es Dir gar nicht zusagt. Aber: man sollte das Kleid sehen und was am Entwurf wichtig ist. Und zum Schluss: töte nicht den Geist, das Schöne und die Emotion ab, indem Du zu viel retuschierst.
Herzlichen Dank!
Franco P. Tettamanti ist ein mehrfach ausgezeichneter Mode- und Porträtfotograf mit Sitz in Paris. Vor dieser Karriere promovierte er 2003 und arbeitete als Assistenzarzt in der orthopädischen Chirurgie in seiner Schweizer Heimat. Tettamanti hat Fotografie und Regie in New York, Paris und Zürich gelernt; heute lebt er als etablierter Haute Couture-Fotograf in Paris. Bekannt ist er neben seiner Arbeit für Kunden wie Dior, Louis Vuitton, Akris, Vivienne Westwood, Universal Music, Madame Figaro oder Prestige Magazine Hong Kong für seinen grossartigen Blick hinter die Kulissen der Haute Couture Szene. Diese stimmungsvollen Bilder „mit aufgewecktem, intelligentem Blick“ (Wolfgang Joop), veröffentlichte Tettamanti in seinem Buch „Showtime“. www.francotettamanti.com