2. Mentorentag – European Fashion Award FASH 2016 / 13. Juni 2016
Noch nie war ich so blass
Wie sieht ein gutes Portfolio aus? Wie relevant sind meine Ideen? Wer entscheidet über den Job? Was erwarten Unternehmen von einem Bewerber? Beim 2. Mentorentag der SDBI gaben Modedesigner ungeschminkte Einblicke in die Arbeitswelt.
Von Joel S. Horwitz
In der Mode wird viel Flexibilität und ein hohes Engagement erwartet, gerade beim ersten Job. „Nie war ich so blass, wie auf Sardinien als ich bei Antonio Marras die Kenzo Homme Kollektion entworfen habe“, schilderte SDBI-Preisträger Adrian Sommerauer seine Arbeit in ungeschminkten Worten auf dem 2. Mentorentag der SDBI. Er fand in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) im Wissenschaftsforum am Berliner Gendarmenmarkt statt.
Sage ja, wenn Du gefragt wirst
Die 20 Teilnehmer aus neun Städten – Preisträger und Teilnehmer des European Fashion Award FASH 2016 sowie Stipendiaten des DAAD – ahnten, wie viele Kompromisse man zu Beginn seiner Karriere eingehen muss, um später die Früchte ernten zu können. Anstrengungen, die sich langfristig auszahlen. Adrian Sommerauer entwirft heute bei Dorothee Schumacher die Outerwear, die Berufung zum Senior Designer ist nur noch eine Formsache.
Wie wichtig in der Mode die eignen Netzwerke sind machte Sommerauer ebenfalls klar. Er studierte nach seinem Abschluss an der HAW Hamburg mit Hilfe eines DAAD-Stipendium am Royal College of Art in London. Neben der harten Schule war es vor allem wertvoll durch die Kontakte in aller Welt, die er unter den Kommilitonen knüpfte. So lernte er: „Sage ja, wenn Du gefragt wirst, es warten genug andere auf den Job, absagen kann man später immer noch.“
Colour Ups, Merch Pages und Tech Packs
Julia Kleeblatt war kaum wieder zu erkennen. Als Teil ihres 1. Preis beim European Fashion Award FASH 2015 erhielt sie ein Praktikum bei Puma. Es formte aus einer schüchternen Studentin eine selbstbewusste Designerin. Wie selbstverständlich sprach sie von Colour Ups, Merch Pages und Tech Packs. Sie berichtete über ihre neuen Polohemden für Pumas Classic Line, die Übergabe ihrer Entwürfe an Produzenten und der Zusammenarbeit im Team und mit den Grafik-Designern. Kurz: wie viel Verantwortung sie schon als Praktikantin übertragen bekam.
Neue Sichtweisen und Handschriften
Was ein Abschluss an der renommierten Modeschule Central Saint Martin bedeutet, berichte Ayako Furness, die für ihr Studium von Japan nach London zog. Die Kontakte der Schule führte sie zu Jobs bei Burberry, Louis Vuitton, Alexander McQueen und Givenchy.
Über die Vorteile eines Studiums beziehungsweise der Arbeit an einer Hochschule im Ausland und das Auswahlverfahren für ein DAAD-Stipendium informierte die Referatsleiterin des DAAD, Kirsten Habbich. Wer seinen Bachelor gemacht hat, dürfte 80 Prozent von dem, was die Schule einem vermitteln kann, gelernt haben. An einer Hochschule im Ausland lernt man ganz neue Sichtweisen und Design-Handschriften sowie die Sprache kennen.
Wie relevant sind Deine Ideen?
Kreativdirektor Thomas Steinbrück (Liebeskind, Porsche Design, Elie Saab), griff das Motto von Klaus Steilmann auf, der 1978 die SDBI gründete: „Mode für Millionen, nicht für Millionäre“. Heute im digitalen Zeitalter ist der Kunde der Star: „Entscheidend ist wie relevant Deine Ideen für ihn sind“, sagte Steinbrück. Und fragte nach dem Genre in dem man anfängt: „Es muss nicht immer Haute Couture sein, auch die Fast-Fashion Anbieter machen heute gute Mode. Platziere Dich in dem Preissegment das Dir zusagt – fange dort aber oben an.“ Entscheidend sei bei dem ständigen Wandel in der Mode die Information: „Sei immer neugierig. Interessiere Dich für Fashion Sourcing, Visual Merchandising, Store Design, Marketing, Public Relations, E-Commerce. Kenne die Business Komponenten sowie Key Player der Branche und pflege Kontakte in der Branche.“
Steinbrück, der nach dem Studium im Studio Berçot und seinem Master an der École de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne in den USA und Deutschland arbeitete, gab auch Tipps zu Gewichtung des Portfolios: In Paris wird viel Wert auf die Schnitttechnik, Proportionen und Detail-Verarbeitung gelegt, in den USA liegt der Fokus auf einem ausbalancierten Kollektionsaufbau, also wie eine Idee auf 30 Looks übertragen wird und in Deutschland beobachtet wird Kreativität in Form von Moodboards, Illustrationen und Textilexperimenten geschätzt.
Es gibt nicht den einen Weg
Klar wurde an diesem Vormittag: Das gestalterische Können ist die Eintrittskarte für ein Vorstellungsgespräch, aber nur ein Aspekt unter vielen um den Job zu bekommen. In großen Unternehmen ist entscheidend wie kommunikationsfähig jemand ist: Kriegt man seinen Mund auf? Oder ist jemand eine Mimose, wo alle ahnen sollen was sie möchte? Kann man in Teams gemeinsam eine Kollektion entwerfen? Wie strukturiert ist man in seiner Arbeit? Wie kommt man mit Zeitdruck und vielen parallelen Projekten klar? Wie gut sind die Englischkenntnisse? In kleinen Teams spielt die Chemie eine besonders wichtige Rolle. Jedes Unternehmen tickt anders. Es gibt nicht den einen, richtigen Weg.
Kennenlernen in Kleingruppen
Bevor die Portfolio-Beratung in Kleingruppen begann, gab es mittags bei Tajine mit Couscous Gelegenheit zum persönlichen Kennenlernen und Austausch. Schon am frühen Morgen hatten sich die sieben Preisträger des European Fashion Award FASH 2016 ihren Mentoren im eigens aufgebauten Showroom mit ihren Kollektionen präsentiert. Es sind erfahrene Designer, die sich noch gut an ihren Berufseinstieg erinnern. Sie helfen den Preisträgern passende Firmen für Bewerbungen auszuwählen, beantworten Fragen zur richtigen Jobwahl, zum Portfolio und Lebenslauf, geben Tipps rund ums Vorstellungsgespräch und Gehältern und helfen mit Kontakten zu Unternehmen und Headhuntern. Und fragen zwischendrin immer mal wieder nach dem Stand der Dinge.
Wie wird Kreativität in Produkte übersetzt?
Nach der Pause gaben je ein Modedesigner und ein Kreativer in zweistündigen Workshops Feedback zu den Portfolios der Teilnehmer. Welche Schwerpunkte sollte es haben: Fotografie, Arbeitsprozess, technische Zeichnungen, Illustrationen? Wie viele freie Arbeiten? Wie aufwendig und wie umfangreich sollte es sein? Papier oder digital?
Einige Unternehmen haben genau definierte Kriterien, worauf sie in einem Portfolio achten:
• Wie wird Kreativität und Innovation in Produkte übersetzt, wie wird an den
Kunden gedacht?
• Gefühl für aufkommende Trends
• Professioneller und ausbalancierter Kollektionsaufbau
• Gefühl für Farben, Volumen und Proportionen
• Qualität der Handzeichnungen
• Kenntnisse und Einsatz von Materialien
• Effizienter Einsatz von Illustrator und Photoshop
Keine einfache Balance
Zum Abschluss ermutigte SDBI Direktor Joachim Schirrmacher zu einer ständigen konstruktiven Selbstkritik. Auf der einen Seite erfordert die Arbeit in der Industrie eine große Anpassungsleistung der Studierenden ohne Verlust an gestalterischer Qualität und Ehrgeiz. Er zitierte Arnold Gevers (FASH 2007), der inzwischen als Professor in München lehrt: „Wichtig ist, dass man sich die Liebe fürs Design bewahrt, gleichzeitig aber auch weiß: Wir machen hier Kleidung für Menschen, die sie tragen wollen.“
Auf der anderen Seite braucht es eine gehörige Portion Selbstbewusstsein und Frustrationstoleranz, um nicht den Glauben an sich selber zu verlieren. Denn die Unternehmen gehen nicht immer gut mit dem Nachwuchs um. Abweisungen haben oft nichts mit den eigenen Fähigkeiten zu tun. „Meist ist es eine Frage des Timings. Ist gerade eine Stelle frei, oder wird ein Strick-Spezialist gesucht?“ Vielfach sind Unternehmen auch unorganisiert. Da wird auch schon mal von einem Weltkonzern ein Seniordesigner für ein 6-monatiges Praktikum angefragt. Während Personalabteilungen großer Unternehmen oft ein Marketingbudget für BWL-Absolventen haben, ist es im Design selten der Fall.
Lasst es bleiben
Dennoch rät die SDBI den Traum vom eigenen Label zurückzustellen und erst einmal Erfahrungen in der Praxis zu sammeln – und herauszufinden, wie man arbeiten will, wo seine Stärken liegen. Wie man effizient arbeitet.
So beurteilt es auch Tim Labenda, der nach seiner Auszeichnung beim European Fashion Award FASH 2013 alle wichtigen Nachwuchsförderungen im deutschsprachigen Raum erhielt, Capsule Collectionen für Brands4Friends und Zalando entwarf sowie als Menswear-Designer für Hess Natur arbeitete und nun Deutschland beim Europäischen Finale des
Woolmark Prize vertritt. Er rät jungen Designer in einem Interview, die sich selbständig machen wollen, es besser sein zu lassen: „Man braucht einen wahnsinnig langen Atem und es ist nervlich sehr strapazierend. Wir haben mit dem Label beinahe jeden Preis und jede Förderung bekommen, die es hierzulande gibt, sogar noch die aus Österreich – und sind trotzdem nicht an einem Punkt, wo sich das Label selbst trägt. Ich wüsste jetzt auch spontan niemanden in der Berliner Designerlandschaft, dem es da merklich besser geht. (…) Richtig gut davon leben kann keiner. Niemand hat mit Anfang/Mitte dreißig Lust, sich so zu verschulden, dass er da nie wieder rauskommt.“
Berichte zum 1. Mentorentag
Talente brauchen mehr als Geld, Tagesspiegel, 20.11.2014
Der European Fashion Award FASH 2015 zu Gast bei zLabels
Joel S. Horwitz leitet seit 2014 das Mentoren Programm der SDBI. Seine Diplomkollektion an der Universität der Künste Berlin wurde 2009 mit dem Lucky Strike Junior Award und dem Designer for Tomorrow Award ausgezeichnet sowie auf der Fashion Week in Tokio präsentiert. Schon als Tutor kümmerte er sich um den Nachwuchs. Seine Karriere startete er bei Adidas, erst im Headquarter in Herzogenaurach, dann entwarf er in Schanghai für die neue Fast Fashion Linie Neo. „In diesen Jahren habe ich gelernt selbständig, kreativ und effizient zu arbeiten.“ Seit 2013 arbeitet er in Berlin als freier Designer für Unternehmen wie Adidas, Brooklyn´s Own by Rocawear, Elkline, J. Lindeberg oder zLabels by Zalando.