Kolumne, Magazin Z der Neuen Zürcher Zeitung / 24. Mai 2015
Neue Wege für Modetalente
Die Mode ist eine gnadenlose Macht geworden, die alles Neue geradezu verschlingt. Entsprechend stark wird um die jüngsten Talente gerangelt. Unternehmen wie H&M oder Luxuskonzerne wie Kering und LVMH loben hochdotierte Preise aus, um die Besten der Besten zu gewinnen. Auch die Fashion Weeks – ob London oder Paris, New York oder Mailand – suchen mit allen Mitteln junge Talente, in der Hoffnung, die Stars von morgen an sich zu binden. Selbst Regierungen investieren Millionen, um die jungen Modeschaffenden zu fördern: Allein Paris steckt 57 Millionen Euro in drei Modeschulen, New York unterstützt kleine Unternehmen, damit sie weiter in der Stadt produzieren können.
Man sollte also meinen, die Zeiten für junge Absolventen seien nie besser gewesen. Doch folgte früher dem medialen Interesse auch der geschäftliche Erfolg, verlischt die Aufmerksamkeit heute so schnell wie eine Sternschnuppe. Man spricht ein paar Minuten über den neuesten Namen, dann kommt der nächste. Selbst Einkäufer wollen nur den jüngsten Hype mitnehmen. Wer schon, wie etwa der Zürcher Designer Julian Zigerli, vier Jahre dabei ist, gilt als alt. Die Talente sind Teil unserer Unterhaltung geworden, werden den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Next, please! Etablieren kann sich so keiner mehr.
Damit fehlen aber auch Visionen für die Zukunft der Mode, wir ersticken in den ewigen Revivals der Bestseller. Ein Teufelskreis.
Wenn der Kampf um Aufmerksamkeit keine Früchte mehr trägt, warum es dann nicht einmal mit einem Strategiewechsel versuchen? Statt sich als Absolvent gleich mit einem eigenen Label dem Sturm der Medien zu stellen, also zunächst ein paar Jahre in einem Team der großen Designer arbeiten. Hier können Nachwuchstalente Erfahrungen und Kontakte sammeln, statt selber Lehrgeld zu zahlen. So reifen die zarten Pflanzen im Verborgenen zu kräftigen Bäumen.
Sicher, an solche Jobs ranzukommen, ist oft nicht einfach. Um hier zu helfen, hat die Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie, deren Arbeit ich seit zehn Jahren pro bono verantworte, ein Mentoren Programm gestartet, das den Preisträgern junge Designer zur Seite stellt. So kommen sie auf Augenhöhe ins Gespräch und können offene Fragen klären: Wie sieht ein gutes Portfolio aus? Wie hast du deine Karriere gestartet? Wie ticken Personalchefs? Und die Jungdesigner können mit dem Netzwerk der bereits besser Etablierten eine Verbindung herstellen, ob zu Unternehmen, Wettbewerben, Stofflieferanten, Fotografen oder Bloggern. So konnten wir schon so manche Tür öffnen. Wenn Sie uns dabei unterstützen wollen: gerne! Helfen können Sie auch, indem Sie das Neue nicht nur auf Facebook oder Instagram liken, sondern pro Jahr ein Teil eines Jungdesigners kaufen. Damit wäre schon viel gewonnen.
Zuerst veröffentlicht: SDBI Direktor Joachim Schirrmacher in seiner regelmäßigen Kolumne „Wahrgenommen“ für das Magazin Z der Neuen Züricher Zeitung, 24. Mai 2015