Optionen Nachhaltige Mode / 16. Mai 2022
Besser als das Gleiche in Grün
Ziele wie „klimaneutral bis 2030“, erscheinen beruhigend. Klingen sie doch fast so, als ob die Herausforderung schon bewältigt wäre. Der gleiche Konsum in Grün, ganz ohne schlechtes Gewissen. Die Analysen zeigen indes klar: Allein mit besserer Technik ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Die Umweltforscherin Dr. Sonja Geiger schätzt, dass der gesamte Konsum in Deutschland um 75 Prozent des Durchschnitts-
verbrauchs sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.
Es braucht klare gesetzliche Regelungen, Änderungen im Design der Textilien und noch sehr viel Forschung. Dabei ist die größte Herausforderung, die große Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen. Welche Optionen haben wir?
Von Joachim Schirrmacher
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Entscheidend ist, dass jeder viele kleine Schritte geht und sein Verhalten ändert. Und zwar ab sofort. Ob im Job oder Privat. Wir haben fast immer die Wahl einer besseren Alternative – ASAP: „as sustainable as possible“.
Bewusster Konsum
Nachhaltige Kleidung fängt nicht bei zertifizierter Bio-Mode an, sondern beim bewussten Konsum. Vivienne Westwood brachte es auf den Punkt: „Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es möglichst lange.“
Der wichtigste Hebel ist, die Kleidung länger zu tragen, idealerweise bis zum Verschleiß. Das bedingt eine langlebige Qualität, ein zeitloses Design und vor allem, dass man die Kleidung gerne trägt. Der sorgsame Umgang mit Kleidung, sie zu pflegen und zu reparieren ist die beste Form von Nachhaltigkeit. Dies sollte wieder in Familien und Schulen vermittelt werden. Statt gleich neue Kleidung zu kaufen, sollte man zunächst online schauen, ob es ein ähnliches Teil auch als Secondhand Artikel gibt. Das spart meist auch Geld. Ungewolltes sollte man tauschen, umnähen oder als Secondhand verkaufen bzw. spenden. Bewusst einkaufen heißt, jeden einzelnen Kauf zu hinterfragen, erst mal eine Runde um den Block laufen oder eine Nacht darüber schlafen: Ist das Teil wirklich notwendig? Passt das Kleidungsstück zum Rest der Garderobe? Einen Überblick empfehlenswerter Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS, Fair Wear Foundation oder BlueSign gibt das Portal siegelklarheit.de
Eine Möglichkeit, seine Modelust auszuleben ohne neue Kleider zu produzieren ist „Virtual Fashion“ z.B. von The Fabricant. Sie wird entweder als Avatar in Games präsentiert oder als Filter über den eigenen Fotos (z.B. von Dressx) auf Instagram, TikTok, etc. als „mixed Reality“ vielfach geteilt.
Und schließlich wäre ein Verbot kostenloser Retouren sicher ein Schritt, der viel bewirken könnte.
Hochwertigere Materialien
Sie dienen der Erhöhung der Haltbarkeit von Kleidung. Dies ist stark abhängig davon, was Materialien kosten dürfen. Das muss sicher mehr sein, als aktuell die maximal 3 Euro bei einer der größten deutschen Marken. Effektiv ist es, bei bewährten Standardqualitäten anzufangen, die in großen Mengen über viele Saisons genutzt werden.
Auch eine verpflichtende Nutzung von Recycling-Materialien nach dem Vorbild der Niederlande ist sinnvoll: dort wird für das Jahr 2025 ein Recyclinganteil von 25 Prozent vorgeschrieben. Damit wird ein Markt für Recycling-Materialien geschaffen.
Weniger und langlebigere Kleidung bedeutet im Übrigen wertvollere Kleidung und nicht zwangsläufig sinkende Umsätze für Hersteller und Händler. Zudem fallen weniger Transporte an.
Design for Recycling
Die Designphase bestimmt laut Bundesumweltministerium bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts. Die Haltbarkeit, leichtes Reparieren und Recyceln sind wesentlich beeinflusst von sortenreinen Materialien oder der richtigen Wahl von Verzierungen und Aufdrucken. Hinzu kommt, dass alle Komponenten wie Stoffe, Reisverschlüsse, Nieten, Knöpfe oder Applikationen gut getrennt werden können. Das gibt auch Chancen für eine neue, spezifische Ästhetik.
Design for Reycling ist noch vor allem Theorie, es gibt bislang wenig Wissen, Aus- und Fortbildung oder gar Kollektionen. Die EU-Textilstrategie sieht 2024 die Einführung verbindlicher Leistungsanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Textilerzeugnissen vor, sowie einen Mindestgehalt an recycelten Stoffen.
Mehr Forschung
Der Forschungsbedarf ist enorm. Inbesondere durch die EU-Textilstrategie, die verstärkt auf Faser-zu-Faser-Recycling setzt und Ausschreibungen bis 2027 im Rahmen von Horizont Europa vorsieht.
Weitere Themen sind unter anderem das Konsumverhalten mit dem Ziel „Weniger aber besser“, Materialien und Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Mikroplastik, neue Geschäftsmodelle (digitale Prozesse, KI-Prognostik), aber auch neue Produktionsmethoden wie z.B. der weitgehend automatisierten Einzelstückfertigung mit 3D-Strick. Als indiviualsierte Einzelstücke im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ 2007 entstanden (bei dem ich das Designmanagement verantwortet habe), später als vergleichbares Konzept im Rahmen von Adidas Speedfactory 2017 als „knit-for-you“ präsentiert. Obwohl Adidas dieses wegweisende Projekt viel zu früh wieder einstellte: man muss sich nur mal vorstellen, wie Apple diese Technologie führen würde, wie sie zum Beispiel bei Marc Chain in Bodelshausen steht.
Bekämpfung von Greenwashing und geschützte Siegel
Allgemeine Angaben wie „grün“ oder „umweltschonend“ sind nach der EU-Textilstrategie nur noch erlaubt, wenn eine hervorragende Umweltleistung z.B. durch anerkannte Umweltzeichen nachgewiesen wurde. Freiwillige Nachhaltigkeitssiegel müssen sich auf eine Überprüfung durch Dritte stützen oder von Behörden vergeben werden. Zudem gibt es EU-Mindestkriterien für Angaben wie „klimaneutral bis 2030“. 2024 werden die Kriterien des EU-Umweltzeichens für Textilien und Schuhe überarbeitet. Zudem prüft die Kommission die Einführung eines digitalen Etiketts. Das wäre eine große Hilfe beim Recyling, darf aber zum Beispiel in Modegeschäften nicht ausgelesen werden können.
Gesetzliche Regelungen
Ähnlich wie für Verpackungen, Fahrzeuge, Elektro- und Elektronikgeräte plädieren die Verbände Zukunft Textil und BVSE für eine Entsorgungsgebühr im Rahmen der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR) nach dem Vorbild von Frankreich (seit 2007), Estland (2015), Bulgarien (2021), Italien (2022), Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande (alle ab 2023) und Portugal(ab 2025). Auch die EU-Textilstrategie plant solche Gebühren.
Der umfangreiche Maßnahmenkatalog der EU-Textilstrategie sieht unter anderen vor:
– Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte und von Retouren
– Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik
– Anreize und Leitlinien (2024) für die Kreislaufwirtschaft, wie Wiederverwendung, Vermietung, Reparatur und dem Einzelhandel mit Secondhandmode inkl. Designkriterien sowie Technologie-Fahrplan für das Textilrecycling (2022).
– Förderung von Forschung und Investitionen in Innovationen, wie z.B. neuen biobasierten Textilfasern
– Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz (2023)
– Grenzübergreifende Marktüberwachung und Bekämpfung von Nachahmungen (2022)
Haben wir eine Wahl?
Am Ende bedroht der Überkonsum nicht nur die Umwelt, sondern auch viele Geschäftsmodelle. „Die globale Bekleidungsindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen über ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden wird“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Spitzenverbandes Textil + Mode. Und für den Handel sind laut dem Institut für Handelsforschung die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung gravierender als die Digitalisierung. „Durch einen Konsumverzicht wird die Grundlage des Geschäftsmodells entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.“ Die Maßnahmen der Europäischen Union werden weitere starke Auswirkungen haben.
Da die Geschäftsgrundlage bedroht ist, müssen Investoren und Aufsichtsräte auf die Transformation des Kerngeschäftes drängen und sollten sich nicht weiter von Vorzeigeprojekten blenden lassen. Dafür benötigen sie zwingend Sachverstand entlang der gesamten textilen Kette, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Und sie müssen die notwendigen Investitionen zur Verfügung stellen.
Die Herausforderungen sind so groß, dass wir viel stärker in Alternativen denken sollten. Fatal wäre, wenn wir uns zu früh auf ersten Achtungserfolgen ausruhen. Gerade Medien kommt hier eine Verantwortung zu, erste Forschungsergebnisse nicht als neue Realität anzukündigen.
Menschen sind immer wieder über sich hinausgewachsen. Der Flug zum Mond zeigte, welche ungeahnten Kräfte ein großes Ziel freisetzt. In der Corona Pandemie zeigte die Modeindustrie mit der Umstellung auf Maskenproduktion erneut, dass in kurzer Zeit viel bewirkt werden kann.
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Joachim Schirrmacher
Nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann studierte er Designmanagement mit Schwerpunkten wie Ökologie oder Gender. Seit 1994 beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit Nachhaltiger Mode. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Autor (Chefredakteur Style in Progress, Tagesspiegel, NZZ), Sprecher (Copenhagen Business School, Goethe-Institut, HDS/L) und Kommunikationsexperte für Unternehmen wie Carroux Caffee, Freitag Lab AG, Messe München oder Retail Brand Services sowie Institutionen wie dem Auswärtigen Amt. Seit 2004 verantwortet er pro bono den European Fashion Award FASH der SDBI.DE www.schirrmacher.org
Ziele wie „klimaneutral bis 2030“, erscheinen beruhigend. Klingen sie doch fast so, als ob die Herausforderung schon bewältigt wäre. Der gleiche Konsum in Grün, ganz ohne schlechtes Gewissen. Die Analysen zeigen indes klar: Allein mit besserer Technik ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Die Umweltforscherin Dr. Sonja Geiger schätzt, dass der gesamte Konsum in Deutschland um 75 Prozent des Durchschnitts-
verbrauchs sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.
Es braucht klare gesetzliche Regelungen, Änderungen im Design der Textilien und noch sehr viel Forschung. Dabei ist die größte Herausforderung, die große Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen. Welche Optionen haben wir?
Von Joachim Schirrmacher
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Entscheidend ist, dass jeder viele kleine Schritte geht und sein Verhalten ändert. Und zwar ab sofort. Ob im Job oder Privat. Wir haben fast immer die Wahl einer besseren Alternative – ASAP: „as sustainable as possible“.
Bewusster Konsum
Nachhaltige Kleidung fängt nicht bei zertifizierter Bio-Mode an, sondern beim bewussten Konsum. Vivienne Westwood brachte es auf den Punkt: „Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es möglichst lange.“
Der wichtigste Hebel ist, die Kleidung länger zu tragen, idealerweise bis zum Verschleiß. Das bedingt eine langlebige Qualität, ein zeitloses Design und vor allem, dass man die Kleidung gerne trägt. Der sorgsame Umgang mit Kleidung, sie zu pflegen und zu reparieren ist die beste Form von Nachhaltigkeit. Dies sollte wieder in Familien und Schulen vermittelt werden. Statt gleich neue Kleidung zu kaufen, sollte man zunächst online schauen, ob es ein ähnliches Teil auch als Secondhand Artikel gibt. Das spart meist auch Geld. Ungewolltes sollte man tauschen, umnähen oder als Secondhand verkaufen bzw. spenden. Bewusst einkaufen heißt, jeden einzelnen Kauf zu hinterfragen, erst mal eine Runde um den Block laufen oder eine Nacht darüber schlafen: Ist das Teil wirklich notwendig? Passt das Kleidungsstück zum Rest der Garderobe? Einen Überblick empfehlenswerter Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS, Fair Wear Foundation oder BlueSign gibt das Portal siegelklarheit.de
Eine Möglichkeit, seine Modelust auszuleben ohne neue Kleider zu produzieren ist „Virtual Fashion“ z.B. von The Fabricant. Sie wird entweder als Avatar in Games präsentiert oder als Filter über den eigenen Fotos (z.B. von Dressx) auf Instagram, TikTok, etc. als „mixed Reality“ vielfach geteilt.
Und schließlich wäre ein Verbot kostenloser Retouren sicher ein Schritt, der viel bewirken könnte.
Hochwertigere Materialien
Sie dienen der Erhöhung der Haltbarkeit von Kleidung. Dies ist stark abhängig davon, was Materialien kosten dürfen. Das muss sicher mehr sein, als aktuell die maximal 3 Euro bei einer der größten deutschen Marken. Effektiv ist es, bei bewährten Standardqualitäten anzufangen, die in großen Mengen über viele Saisons genutzt werden.
Auch eine verpflichtende Nutzung von Recycling-Materialien nach dem Vorbild der Niederlande ist sinnvoll: dort wird für das Jahr 2025 ein Recyclinganteil von 25 Prozent vorgeschrieben. Damit wird ein Markt für Recycling-Materialien geschaffen.
Weniger und langlebigere Kleidung bedeutet im Übrigen wertvollere Kleidung und nicht zwangsläufig sinkende Umsätze für Hersteller und Händler. Zudem fallen weniger Transporte an.
Design for Recycling
Die Designphase bestimmt laut Bundesumweltministerium bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts. Die Haltbarkeit, leichtes Reparieren und Recyceln sind wesentlich beeinflusst von sortenreinen Materialien oder der richtigen Wahl von Verzierungen und Aufdrucken. Hinzu kommt, dass alle Komponenten wie Stoffe, Reisverschlüsse, Nieten, Knöpfe oder Applikationen gut getrennt werden können. Das gibt auch Chancen für eine neue, spezifische Ästhetik.
Design for Reycling ist noch vor allem Theorie, es gibt bislang wenig Wissen, Aus- und Fortbildung oder gar Kollektionen. Die EU-Textilstrategie sieht 2024 die Einführung verbindlicher Leistungsanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Textilerzeugnissen vor, sowie einen Mindestgehalt an recycelten Stoffen.
Mehr Forschung
Der Forschungsbedarf ist enorm. Inbesondere durch die EU-Textilstrategie, die verstärkt auf Faser-zu-Faser-Recycling setzt und Ausschreibungen bis 2027 im Rahmen von Horizont Europa vorsieht.
Weitere Themen sind unter anderem das Konsumverhalten mit dem Ziel „Weniger aber besser“, Materialien und Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Mikroplastik, neue Geschäftsmodelle (digitale Prozesse, KI-Prognostik), aber auch neue Produktionsmethoden wie z.B. der weitgehend automatisierten Einzelstückfertigung mit 3D-Strick. Als indiviualsierte Einzelstücke im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ 2007 entstanden (bei dem ich das Designmanagement verantwortet habe), später als vergleichbares Konzept im Rahmen von Adidas Speedfactory 2017 als „knit-for-you“ präsentiert. Obwohl Adidas dieses wegweisende Projekt viel zu früh wieder einstellte: man muss sich nur mal vorstellen, wie Apple diese Technologie führen würde, wie sie zum Beispiel bei Marc Chain in Bodelshausen steht.
Bekämpfung von Greenwashing und geschützte Siegel
Allgemeine Angaben wie „grün“ oder „umweltschonend“ sind nach der EU-Textilstrategie nur noch erlaubt, wenn eine hervorragende Umweltleistung z.B. durch anerkannte Umweltzeichen nachgewiesen wurde. Freiwillige Nachhaltigkeitssiegel müssen sich auf eine Überprüfung durch Dritte stützen oder von Behörden vergeben werden. Zudem gibt es EU-Mindestkriterien für Angaben wie „klimaneutral bis 2030“. 2024 werden die Kriterien des EU-Umweltzeichens für Textilien und Schuhe überarbeitet. Zudem prüft die Kommission die Einführung eines digitalen Etiketts. Das wäre eine große Hilfe beim Recyling, darf aber zum Beispiel in Modegeschäften nicht ausgelesen werden können.
Gesetzliche Regelungen
Ähnlich wie für Verpackungen, Fahrzeuge, Elektro- und Elektronikgeräte plädieren die Verbände Zukunft Textil und BVSE für eine Entsorgungsgebühr im Rahmen der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR) nach dem Vorbild von Frankreich (seit 2007), Estland (2015), Bulgarien (2021), Italien (2022), Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande (alle ab 2023) und Portugal(ab 2025). Auch die EU-Textilstrategie plant solche Gebühren.
Der umfangreiche Maßnahmenkatalog der EU-Textilstrategie sieht unter anderen vor:
– Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte und von Retouren
– Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik
– Anreize und Leitlinien (2024) für die Kreislaufwirtschaft, wie Wiederverwendung, Vermietung, Reparatur und dem Einzelhandel mit Secondhandmode inkl. Designkriterien sowie Technologie-Fahrplan für das Textilrecycling (2022).
– Förderung von Forschung und Investitionen in Innovationen, wie z.B. neuen biobasierten Textilfasern
– Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz (2023)
– Grenzübergreifende Marktüberwachung und Bekämpfung von Nachahmungen (2022)
Haben wir eine Wahl?
Am Ende bedroht der Überkonsum nicht nur die Umwelt, sondern auch viele Geschäftsmodelle. „Die globale Bekleidungsindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen über ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden wird“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Spitzenverbandes Textil + Mode. Und für den Handel sind laut dem Institut für Handelsforschung die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung gravierender als die Digitalisierung. „Durch einen Konsumverzicht wird die Grundlage des Geschäftsmodells entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.“ Die Maßnahmen der Europäischen Union werden weitere starke Auswirkungen haben.
Da die Geschäftsgrundlage bedroht ist, müssen Investoren und Aufsichtsräte auf die Transformation des Kerngeschäftes drängen und sollten sich nicht weiter von Vorzeigeprojekten blenden lassen. Dafür benötigen sie zwingend Sachverstand entlang der gesamten textilen Kette, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Und sie müssen die notwendigen Investitionen zur Verfügung stellen.
Die Herausforderungen sind so groß, dass wir viel stärker in Alternativen denken sollten. Fatal wäre, wenn wir uns zu früh auf ersten Achtungserfolgen ausruhen. Gerade Medien kommt hier eine Verantwortung zu, erste Forschungsergebnisse nicht als neue Realität anzukündigen.
Menschen sind immer wieder über sich hinausgewachsen. Der Flug zum Mond zeigte, welche ungeahnten Kräfte ein großes Ziel freisetzt. In der Corona Pandemie zeigte die Modeindustrie mit der Umstellung auf Maskenproduktion erneut, dass in kurzer Zeit viel bewirkt werden kann.
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Joachim Schirrmacher
Nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann studierte er Designmanagement mit Schwerpunkten wie Ökologie oder Gender. Seit 1994 beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit Nachhaltiger Mode. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Autor (Chefredakteur Style in Progress, Tagesspiegel, NZZ), Sprecher (Copenhagen Business School, Goethe-Institut, HDS/L) und Kommunikationsexperte für Unternehmen wie Carroux Caffee, Freitag Lab AG, Messe München oder Retail Brand Services sowie Institutionen wie dem Auswärtigen Amt. Seit 2004 verantwortet er pro bono den European Fashion Award FASH der SDBI.DE www.schirrmacher.org
Ziele wie „klimaneutral bis 2030“, erscheinen beruhigend. Klingen sie doch fast so, als ob die Herausforderung schon bewältigt wäre. Der gleiche Konsum in Grün, ganz ohne schlechtes Gewissen. Die Analysen zeigen indes klar: Allein mit besserer Technik ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Die Umweltforscherin Dr. Sonja Geiger schätzt, dass der gesamte Konsum in Deutschland um 75 Prozent des Durchschnitts-
verbrauchs sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.
Es braucht klare gesetzliche Regelungen, Änderungen im Design der Textilien und noch sehr viel Forschung. Dabei ist die größte Herausforderung, die große Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen. Welche Optionen haben wir?
Von Joachim Schirrmacher
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Entscheidend ist, dass jeder viele kleine Schritte geht und sein Verhalten ändert. Und zwar ab sofort. Ob im Job oder Privat. Wir haben fast immer die Wahl einer besseren Alternative – ASAP: „as sustainable as possible“.
Bewusster Konsum
Nachhaltige Kleidung fängt nicht bei zertifizierter Bio-Mode an, sondern beim bewussten Konsum. Vivienne Westwood brachte es auf den Punkt: „Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es möglichst lange.“
Der wichtigste Hebel ist, die Kleidung länger zu tragen, idealerweise bis zum Verschleiß. Das bedingt eine langlebige Qualität, ein zeitloses Design und vor allem, dass man die Kleidung gerne trägt. Der sorgsame Umgang mit Kleidung, sie zu pflegen und zu reparieren ist die beste Form von Nachhaltigkeit. Dies sollte wieder in Familien und Schulen vermittelt werden. Statt gleich neue Kleidung zu kaufen, sollte man zunächst online schauen, ob es ein ähnliches Teil auch als Secondhand Artikel gibt. Das spart meist auch Geld. Ungewolltes sollte man tauschen, umnähen oder als Secondhand verkaufen bzw. spenden. Bewusst einkaufen heißt, jeden einzelnen Kauf zu hinterfragen, erst mal eine Runde um den Block laufen oder eine Nacht darüber schlafen: Ist das Teil wirklich notwendig? Passt das Kleidungsstück zum Rest der Garderobe? Einen Überblick empfehlenswerter Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS, Fair Wear Foundation oder BlueSign gibt das Portal siegelklarheit.de
Eine Möglichkeit, seine Modelust auszuleben ohne neue Kleider zu produzieren ist „Virtual Fashion“ z.B. von The Fabricant. Sie wird entweder als Avatar in Games präsentiert oder als Filter über den eigenen Fotos (z.B. von Dressx) auf Instagram, TikTok, etc. als „mixed Reality“ vielfach geteilt.
Und schließlich wäre ein Verbot kostenloser Retouren sicher ein Schritt, der viel bewirken könnte.
Hochwertigere Materialien
Sie dienen der Erhöhung der Haltbarkeit von Kleidung. Dies ist stark abhängig davon, was Materialien kosten dürfen. Das muss sicher mehr sein, als aktuell die maximal 3 Euro bei einer der größten deutschen Marken. Effektiv ist es, bei bewährten Standardqualitäten anzufangen, die in großen Mengen über viele Saisons genutzt werden.
Auch eine verpflichtende Nutzung von Recycling-Materialien nach dem Vorbild der Niederlande ist sinnvoll: dort wird für das Jahr 2025 ein Recyclinganteil von 25 Prozent vorgeschrieben. Damit wird ein Markt für Recycling-Materialien geschaffen.
Weniger und langlebigere Kleidung bedeutet im Übrigen wertvollere Kleidung und nicht zwangsläufig sinkende Umsätze für Hersteller und Händler. Zudem fallen weniger Transporte an.
Design for Recycling
Die Designphase bestimmt laut Bundesumweltministerium bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts. Die Haltbarkeit, leichtes Reparieren und Recyceln sind wesentlich beeinflusst von sortenreinen Materialien oder der richtigen Wahl von Verzierungen und Aufdrucken. Hinzu kommt, dass alle Komponenten wie Stoffe, Reisverschlüsse, Nieten, Knöpfe oder Applikationen gut getrennt werden können. Das gibt auch Chancen für eine neue, spezifische Ästhetik.
Design for Reycling ist noch vor allem Theorie, es gibt bislang wenig Wissen, Aus- und Fortbildung oder gar Kollektionen. Die EU-Textilstrategie sieht 2024 die Einführung verbindlicher Leistungsanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Textilerzeugnissen vor, sowie einen Mindestgehalt an recycelten Stoffen.
Mehr Forschung
Der Forschungsbedarf ist enorm. Inbesondere durch die EU-Textilstrategie, die verstärkt auf Faser-zu-Faser-Recycling setzt und Ausschreibungen bis 2027 im Rahmen von Horizont Europa vorsieht.
Weitere Themen sind unter anderem das Konsumverhalten mit dem Ziel „Weniger aber besser“, Materialien und Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Mikroplastik, neue Geschäftsmodelle (digitale Prozesse, KI-Prognostik), aber auch neue Produktionsmethoden wie z.B. der weitgehend automatisierten Einzelstückfertigung mit 3D-Strick. Als indiviualsierte Einzelstücke im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ 2007 entstanden (bei dem ich das Designmanagement verantwortet habe), später als vergleichbares Konzept im Rahmen von Adidas Speedfactory 2017 als „knit-for-you“ präsentiert. Obwohl Adidas dieses wegweisende Projekt viel zu früh wieder einstellte: man muss sich nur mal vorstellen, wie Apple diese Technologie führen würde, wie sie zum Beispiel bei Marc Chain in Bodelshausen steht.
Bekämpfung von Greenwashing und geschützte Siegel
Allgemeine Angaben wie „grün“ oder „umweltschonend“ sind nach der EU-Textilstrategie nur noch erlaubt, wenn eine hervorragende Umweltleistung z.B. durch anerkannte Umweltzeichen nachgewiesen wurde. Freiwillige Nachhaltigkeitssiegel müssen sich auf eine Überprüfung durch Dritte stützen oder von Behörden vergeben werden. Zudem gibt es EU-Mindestkriterien für Angaben wie „klimaneutral bis 2030“. 2024 werden die Kriterien des EU-Umweltzeichens für Textilien und Schuhe überarbeitet. Zudem prüft die Kommission die Einführung eines digitalen Etiketts. Das wäre eine große Hilfe beim Recyling, darf aber zum Beispiel in Modegeschäften nicht ausgelesen werden können.
Gesetzliche Regelungen
Ähnlich wie für Verpackungen, Fahrzeuge, Elektro- und Elektronikgeräte plädieren die Verbände Zukunft Textil und BVSE für eine Entsorgungsgebühr im Rahmen der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR) nach dem Vorbild von Frankreich (seit 2007), Estland (2015), Bulgarien (2021), Italien (2022), Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande (alle ab 2023) und Portugal(ab 2025). Auch die EU-Textilstrategie plant solche Gebühren.
Der umfangreiche Maßnahmenkatalog der EU-Textilstrategie sieht unter anderen vor:
– Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte und von Retouren
– Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik
– Anreize und Leitlinien (2024) für die Kreislaufwirtschaft, wie Wiederverwendung, Vermietung, Reparatur und dem Einzelhandel mit Secondhandmode inkl. Designkriterien sowie Technologie-Fahrplan für das Textilrecycling (2022).
– Förderung von Forschung und Investitionen in Innovationen, wie z.B. neuen biobasierten Textilfasern
– Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz (2023)
– Grenzübergreifende Marktüberwachung und Bekämpfung von Nachahmungen (2022)
Haben wir eine Wahl?
Am Ende bedroht der Überkonsum nicht nur die Umwelt, sondern auch viele Geschäftsmodelle. „Die globale Bekleidungsindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen über ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden wird“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Spitzenverbandes Textil + Mode. Und für den Handel sind laut dem Institut für Handelsforschung die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung gravierender als die Digitalisierung. „Durch einen Konsumverzicht wird die Grundlage des Geschäftsmodells entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.“ Die Maßnahmen der Europäischen Union werden weitere starke Auswirkungen haben.
Da die Geschäftsgrundlage bedroht ist, müssen Investoren und Aufsichtsräte auf die Transformation des Kerngeschäftes drängen und sollten sich nicht weiter von Vorzeigeprojekten blenden lassen. Dafür benötigen sie zwingend Sachverstand entlang der gesamten textilen Kette, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Und sie müssen die notwendigen Investitionen zur Verfügung stellen.
Die Herausforderungen sind so groß, dass wir viel stärker in Alternativen denken sollten. Fatal wäre, wenn wir uns zu früh auf ersten Achtungserfolgen ausruhen. Gerade Medien kommt hier eine Verantwortung zu, erste Forschungsergebnisse nicht als neue Realität anzukündigen.
Menschen sind immer wieder über sich hinausgewachsen. Der Flug zum Mond zeigte, welche ungeahnten Kräfte ein großes Ziel freisetzt. In der Corona Pandemie zeigte die Modeindustrie mit der Umstellung auf Maskenproduktion erneut, dass in kurzer Zeit viel bewirkt werden kann.
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Joachim Schirrmacher
Nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann studierte er Designmanagement mit Schwerpunkten wie Ökologie oder Gender. Seit 1994 beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit Nachhaltiger Mode. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Autor (Chefredakteur Style in Progress, Tagesspiegel, NZZ), Sprecher (Copenhagen Business School, Goethe-Institut, HDS/L) und Kommunikationsexperte für Unternehmen wie Carroux Caffee, Freitag Lab AG, Messe München oder Retail Brand Services sowie Institutionen wie dem Auswärtigen Amt. Seit 2004 verantwortet er pro bono den European Fashion Award FASH der SDBI.DE www.schirrmacher.org
Ziele wie „klimaneutral bis 2030“, erscheinen beruhigend. Klingen sie doch fast so, als ob die Herausforderung schon bewältigt wäre. Der gleiche Konsum in Grün, ganz ohne schlechtes Gewissen. Die Analysen zeigen indes klar: Allein mit besserer Technik ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Die Umweltforscherin Dr. Sonja Geiger schätzt, dass der gesamte Konsum in Deutschland um 75 Prozent des Durchschnitts-
verbrauchs sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.
Es braucht klare gesetzliche Regelungen, Änderungen im Design der Textilien und noch sehr viel Forschung. Dabei ist die größte Herausforderung, die große Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen. Welche Optionen haben wir?
Von Joachim Schirrmacher
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Entscheidend ist, dass jeder viele kleine Schritte geht und sein Verhalten ändert. Und zwar ab sofort. Ob im Job oder Privat. Wir haben fast immer die Wahl einer besseren Alternative – ASAP: „as sustainable as possible“.
Bewusster Konsum
Nachhaltige Kleidung fängt nicht bei zertifizierter Bio-Mode an, sondern beim bewussten Konsum. Vivienne Westwood brachte es auf den Punkt: „Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es möglichst lange.“
Der wichtigste Hebel ist, die Kleidung länger zu tragen, idealerweise bis zum Verschleiß. Das bedingt eine langlebige Qualität, ein zeitloses Design und vor allem, dass man die Kleidung gerne trägt. Der sorgsame Umgang mit Kleidung, sie zu pflegen und zu reparieren ist die beste Form von Nachhaltigkeit. Dies sollte wieder in Familien und Schulen vermittelt werden. Statt gleich neue Kleidung zu kaufen, sollte man zunächst online schauen, ob es ein ähnliches Teil auch als Secondhand Artikel gibt. Das spart meist auch Geld. Ungewolltes sollte man tauschen, umnähen oder als Secondhand verkaufen bzw. spenden. Bewusst einkaufen heißt, jeden einzelnen Kauf zu hinterfragen, erst mal eine Runde um den Block laufen oder eine Nacht darüber schlafen: Ist das Teil wirklich notwendig? Passt das Kleidungsstück zum Rest der Garderobe? Einen Überblick empfehlenswerter Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS, Fair Wear Foundation oder BlueSign gibt das Portal siegelklarheit.de
Eine Möglichkeit, seine Modelust auszuleben ohne neue Kleider zu produzieren ist „Virtual Fashion“ z.B. von The Fabricant. Sie wird entweder als Avatar in Games präsentiert oder als Filter über den eigenen Fotos (z.B. von Dressx) auf Instagram, TikTok, etc. als „mixed Reality“ vielfach geteilt.
Und schließlich wäre ein Verbot kostenloser Retouren sicher ein Schritt, der viel bewirken könnte.
Hochwertigere Materialien
Sie dienen der Erhöhung der Haltbarkeit von Kleidung. Dies ist stark abhängig davon, was Materialien kosten dürfen. Das muss sicher mehr sein, als aktuell die maximal 3 Euro bei einer der größten deutschen Marken. Effektiv ist es, bei bewährten Standardqualitäten anzufangen, die in großen Mengen über viele Saisons genutzt werden.
Auch eine verpflichtende Nutzung von Recycling-Materialien nach dem Vorbild der Niederlande ist sinnvoll: dort wird für das Jahr 2025 ein Recyclinganteil von 25 Prozent vorgeschrieben. Damit wird ein Markt für Recycling-Materialien geschaffen.
Weniger und langlebigere Kleidung bedeutet im Übrigen wertvollere Kleidung und nicht zwangsläufig sinkende Umsätze für Hersteller und Händler. Zudem fallen weniger Transporte an.
Design for Recycling
Die Designphase bestimmt laut Bundesumweltministerium bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts. Die Haltbarkeit, leichtes Reparieren und Recyceln sind wesentlich beeinflusst von sortenreinen Materialien oder der richtigen Wahl von Verzierungen und Aufdrucken. Hinzu kommt, dass alle Komponenten wie Stoffe, Reisverschlüsse, Nieten, Knöpfe oder Applikationen gut getrennt werden können. Das gibt auch Chancen für eine neue, spezifische Ästhetik.
Design for Reycling ist noch vor allem Theorie, es gibt bislang wenig Wissen, Aus- und Fortbildung oder gar Kollektionen. Die EU-Textilstrategie sieht 2024 die Einführung verbindlicher Leistungsanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Textilerzeugnissen vor, sowie einen Mindestgehalt an recycelten Stoffen.
Mehr Forschung
Der Forschungsbedarf ist enorm. Inbesondere durch die EU-Textilstrategie, die verstärkt auf Faser-zu-Faser-Recycling setzt und Ausschreibungen bis 2027 im Rahmen von Horizont Europa vorsieht.
Weitere Themen sind unter anderem das Konsumverhalten mit dem Ziel „Weniger aber besser“, Materialien und Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Mikroplastik, neue Geschäftsmodelle (digitale Prozesse, KI-Prognostik), aber auch neue Produktionsmethoden wie z.B. der weitgehend automatisierten Einzelstückfertigung mit 3D-Strick. Als indiviualsierte Einzelstücke im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ 2007 entstanden (bei dem ich das Designmanagement verantwortet habe), später als vergleichbares Konzept im Rahmen von Adidas Speedfactory 2017 als „knit-for-you“ präsentiert. Obwohl Adidas dieses wegweisende Projekt viel zu früh wieder einstellte: man muss sich nur mal vorstellen, wie Apple diese Technologie führen würde, wie sie zum Beispiel bei Marc Chain in Bodelshausen steht.
Bekämpfung von Greenwashing und geschützte Siegel
Allgemeine Angaben wie „grün“ oder „umweltschonend“ sind nach der EU-Textilstrategie nur noch erlaubt, wenn eine hervorragende Umweltleistung z.B. durch anerkannte Umweltzeichen nachgewiesen wurde. Freiwillige Nachhaltigkeitssiegel müssen sich auf eine Überprüfung durch Dritte stützen oder von Behörden vergeben werden. Zudem gibt es EU-Mindestkriterien für Angaben wie „klimaneutral bis 2030“. 2024 werden die Kriterien des EU-Umweltzeichens für Textilien und Schuhe überarbeitet. Zudem prüft die Kommission die Einführung eines digitalen Etiketts. Das wäre eine große Hilfe beim Recyling, darf aber zum Beispiel in Modegeschäften nicht ausgelesen werden können.
Gesetzliche Regelungen
Ähnlich wie für Verpackungen, Fahrzeuge, Elektro- und Elektronikgeräte plädieren die Verbände Zukunft Textil und BVSE für eine Entsorgungsgebühr im Rahmen der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR) nach dem Vorbild von Frankreich (seit 2007), Estland (2015), Bulgarien (2021), Italien (2022), Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande (alle ab 2023) und Portugal(ab 2025). Auch die EU-Textilstrategie plant solche Gebühren.
Der umfangreiche Maßnahmenkatalog der EU-Textilstrategie sieht unter anderen vor:
– Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte und von Retouren
– Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik
– Anreize und Leitlinien (2024) für die Kreislaufwirtschaft, wie Wiederverwendung, Vermietung, Reparatur und dem Einzelhandel mit Secondhandmode inkl. Designkriterien sowie Technologie-Fahrplan für das Textilrecycling (2022).
– Förderung von Forschung und Investitionen in Innovationen, wie z.B. neuen biobasierten Textilfasern
– Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz (2023)
– Grenzübergreifende Marktüberwachung und Bekämpfung von Nachahmungen (2022)
Haben wir eine Wahl?
Am Ende bedroht der Überkonsum nicht nur die Umwelt, sondern auch viele Geschäftsmodelle. „Die globale Bekleidungsindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen über ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden wird“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Spitzenverbandes Textil + Mode. Und für den Handel sind laut dem Institut für Handelsforschung die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung gravierender als die Digitalisierung. „Durch einen Konsumverzicht wird die Grundlage des Geschäftsmodells entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.“ Die Maßnahmen der Europäischen Union werden weitere starke Auswirkungen haben.
Da die Geschäftsgrundlage bedroht ist, müssen Investoren und Aufsichtsräte auf die Transformation des Kerngeschäftes drängen und sollten sich nicht weiter von Vorzeigeprojekten blenden lassen. Dafür benötigen sie zwingend Sachverstand entlang der gesamten textilen Kette, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Und sie müssen die notwendigen Investitionen zur Verfügung stellen.
Die Herausforderungen sind so groß, dass wir viel stärker in Alternativen denken sollten. Fatal wäre, wenn wir uns zu früh auf ersten Achtungserfolgen ausruhen. Gerade Medien kommt hier eine Verantwortung zu, erste Forschungsergebnisse nicht als neue Realität anzukündigen.
Menschen sind immer wieder über sich hinausgewachsen. Der Flug zum Mond zeigte, welche ungeahnten Kräfte ein großes Ziel freisetzt. In der Corona Pandemie zeigte die Modeindustrie mit der Umstellung auf Maskenproduktion erneut, dass in kurzer Zeit viel bewirkt werden kann.
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Joachim Schirrmacher
Nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann studierte er Designmanagement mit Schwerpunkten wie Ökologie oder Gender. Seit 1994 beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit Nachhaltiger Mode. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Autor (Chefredakteur Style in Progress, Tagesspiegel, NZZ), Sprecher (Copenhagen Business School, Goethe-Institut, HDS/L) und Kommunikationsexperte für Unternehmen wie Carroux Caffee, Freitag Lab AG, Messe München oder Retail Brand Services sowie Institutionen wie dem Auswärtigen Amt. Seit 2004 verantwortet er pro bono den European Fashion Award FASH der SDBI.DE www.schirrmacher.org
Ziele wie „klimaneutral bis 2030“, erscheinen beruhigend. Klingen sie doch fast so, als ob die Herausforderung schon bewältigt wäre. Der gleiche Konsum in Grün, ganz ohne schlechtes Gewissen. Die Analysen zeigen indes klar: Allein mit besserer Technik ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Die Umweltforscherin Dr. Sonja Geiger schätzt, dass der gesamte Konsum in Deutschland um 75 Prozent des Durchschnitts-
verbrauchs sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.
Es braucht klare gesetzliche Regelungen, Änderungen im Design der Textilien und noch sehr viel Forschung. Dabei ist die größte Herausforderung, die große Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen. Welche Optionen haben wir?
Von Joachim Schirrmacher
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Entscheidend ist, dass jeder viele kleine Schritte geht und sein Verhalten ändert. Und zwar ab sofort. Ob im Job oder Privat. Wir haben fast immer die Wahl einer besseren Alternative – ASAP: „as sustainable as possible“.
Bewusster Konsum
Nachhaltige Kleidung fängt nicht bei zertifizierter Bio-Mode an, sondern beim bewussten Konsum. Vivienne Westwood brachte es auf den Punkt: „Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es möglichst lange.“
Der wichtigste Hebel ist, die Kleidung länger zu tragen, idealerweise bis zum Verschleiß. Das bedingt eine langlebige Qualität, ein zeitloses Design und vor allem, dass man die Kleidung gerne trägt. Der sorgsame Umgang mit Kleidung, sie zu pflegen und zu reparieren ist die beste Form von Nachhaltigkeit. Dies sollte wieder in Familien und Schulen vermittelt werden. Statt gleich neue Kleidung zu kaufen, sollte man zunächst online schauen, ob es ein ähnliches Teil auch als Secondhand Artikel gibt. Das spart meist auch Geld. Ungewolltes sollte man tauschen, umnähen oder als Secondhand verkaufen bzw. spenden. Bewusst einkaufen heißt, jeden einzelnen Kauf zu hinterfragen, erst mal eine Runde um den Block laufen oder eine Nacht darüber schlafen: Ist das Teil wirklich notwendig? Passt das Kleidungsstück zum Rest der Garderobe? Einen Überblick empfehlenswerter Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS, Fair Wear Foundation oder BlueSign gibt das Portal siegelklarheit.de
Eine Möglichkeit, seine Modelust auszuleben ohne neue Kleider zu produzieren ist „Virtual Fashion“ z.B. von The Fabricant. Sie wird entweder als Avatar in Games präsentiert oder als Filter über den eigenen Fotos (z.B. von Dressx) auf Instagram, TikTok, etc. als „mixed Reality“ vielfach geteilt.
Und schließlich wäre ein Verbot kostenloser Retouren sicher ein Schritt, der viel bewirken könnte.
Hochwertigere Materialien
Sie dienen der Erhöhung der Haltbarkeit von Kleidung. Dies ist stark abhängig davon, was Materialien kosten dürfen. Das muss sicher mehr sein, als aktuell die maximal 3 Euro bei einer der größten deutschen Marken. Effektiv ist es, bei bewährten Standardqualitäten anzufangen, die in großen Mengen über viele Saisons genutzt werden.
Auch eine verpflichtende Nutzung von Recycling-Materialien nach dem Vorbild der Niederlande ist sinnvoll: dort wird für das Jahr 2025 ein Recyclinganteil von 25 Prozent vorgeschrieben. Damit wird ein Markt für Recycling-Materialien geschaffen.
Weniger und langlebigere Kleidung bedeutet im Übrigen wertvollere Kleidung und nicht zwangsläufig sinkende Umsätze für Hersteller und Händler. Zudem fallen weniger Transporte an.
Design for Recycling
Die Designphase bestimmt laut Bundesumweltministerium bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts. Die Haltbarkeit, leichtes Reparieren und Recyceln sind wesentlich beeinflusst von sortenreinen Materialien oder der richtigen Wahl von Verzierungen und Aufdrucken. Hinzu kommt, dass alle Komponenten wie Stoffe, Reisverschlüsse, Nieten, Knöpfe oder Applikationen gut getrennt werden können. Das gibt auch Chancen für eine neue, spezifische Ästhetik.
Design for Reycling ist noch vor allem Theorie, es gibt bislang wenig Wissen, Aus- und Fortbildung oder gar Kollektionen. Die EU-Textilstrategie sieht 2024 die Einführung verbindlicher Leistungsanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Textilerzeugnissen vor, sowie einen Mindestgehalt an recycelten Stoffen.
Mehr Forschung
Der Forschungsbedarf ist enorm. Inbesondere durch die EU-Textilstrategie, die verstärkt auf Faser-zu-Faser-Recycling setzt und Ausschreibungen bis 2027 im Rahmen von Horizont Europa vorsieht.
Weitere Themen sind unter anderem das Konsumverhalten mit dem Ziel „Weniger aber besser“, Materialien und Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Mikroplastik, neue Geschäftsmodelle (digitale Prozesse, KI-Prognostik), aber auch neue Produktionsmethoden wie z.B. der weitgehend automatisierten Einzelstückfertigung mit 3D-Strick. Als indiviualsierte Einzelstücke im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ 2007 entstanden (bei dem ich das Designmanagement verantwortet habe), später als vergleichbares Konzept im Rahmen von Adidas Speedfactory 2017 als „knit-for-you“ präsentiert. Obwohl Adidas dieses wegweisende Projekt viel zu früh wieder einstellte: man muss sich nur mal vorstellen, wie Apple diese Technologie führen würde, wie sie zum Beispiel bei Marc Chain in Bodelshausen steht.
Bekämpfung von Greenwashing und geschützte Siegel
Allgemeine Angaben wie „grün“ oder „umweltschonend“ sind nach der EU-Textilstrategie nur noch erlaubt, wenn eine hervorragende Umweltleistung z.B. durch anerkannte Umweltzeichen nachgewiesen wurde. Freiwillige Nachhaltigkeitssiegel müssen sich auf eine Überprüfung durch Dritte stützen oder von Behörden vergeben werden. Zudem gibt es EU-Mindestkriterien für Angaben wie „klimaneutral bis 2030“. 2024 werden die Kriterien des EU-Umweltzeichens für Textilien und Schuhe überarbeitet. Zudem prüft die Kommission die Einführung eines digitalen Etiketts. Das wäre eine große Hilfe beim Recyling, darf aber zum Beispiel in Modegeschäften nicht ausgelesen werden können.
Gesetzliche Regelungen
Ähnlich wie für Verpackungen, Fahrzeuge, Elektro- und Elektronikgeräte plädieren die Verbände Zukunft Textil und BVSE für eine Entsorgungsgebühr im Rahmen der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR) nach dem Vorbild von Frankreich (seit 2007), Estland (2015), Bulgarien (2021), Italien (2022), Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande (alle ab 2023) und Portugal(ab 2025). Auch die EU-Textilstrategie plant solche Gebühren.
Der umfangreiche Maßnahmenkatalog der EU-Textilstrategie sieht unter anderen vor:
– Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte und von Retouren
– Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik
– Anreize und Leitlinien (2024) für die Kreislaufwirtschaft, wie Wiederverwendung, Vermietung, Reparatur und dem Einzelhandel mit Secondhandmode inkl. Designkriterien sowie Technologie-Fahrplan für das Textilrecycling (2022).
– Förderung von Forschung und Investitionen in Innovationen, wie z.B. neuen biobasierten Textilfasern
– Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz (2023)
– Grenzübergreifende Marktüberwachung und Bekämpfung von Nachahmungen (2022)
Haben wir eine Wahl?
Am Ende bedroht der Überkonsum nicht nur die Umwelt, sondern auch viele Geschäftsmodelle. „Die globale Bekleidungsindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen über ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden wird“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Spitzenverbandes Textil + Mode. Und für den Handel sind laut dem Institut für Handelsforschung die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung gravierender als die Digitalisierung. „Durch einen Konsumverzicht wird die Grundlage des Geschäftsmodells entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.“ Die Maßnahmen der Europäischen Union werden weitere starke Auswirkungen haben.
Da die Geschäftsgrundlage bedroht ist, müssen Investoren und Aufsichtsräte auf die Transformation des Kerngeschäftes drängen und sollten sich nicht weiter von Vorzeigeprojekten blenden lassen. Dafür benötigen sie zwingend Sachverstand entlang der gesamten textilen Kette, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Und sie müssen die notwendigen Investitionen zur Verfügung stellen.
Die Herausforderungen sind so groß, dass wir viel stärker in Alternativen denken sollten. Fatal wäre, wenn wir uns zu früh auf ersten Achtungserfolgen ausruhen. Gerade Medien kommt hier eine Verantwortung zu, erste Forschungsergebnisse nicht als neue Realität anzukündigen.
Menschen sind immer wieder über sich hinausgewachsen. Der Flug zum Mond zeigte, welche ungeahnten Kräfte ein großes Ziel freisetzt. In der Corona Pandemie zeigte die Modeindustrie mit der Umstellung auf Maskenproduktion erneut, dass in kurzer Zeit viel bewirkt werden kann.
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Joachim Schirrmacher
Nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann studierte er Designmanagement mit Schwerpunkten wie Ökologie oder Gender. Seit 1994 beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit Nachhaltiger Mode. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Autor (Chefredakteur Style in Progress, Tagesspiegel, NZZ), Sprecher (Copenhagen Business School, Goethe-Institut, HDS/L) und Kommunikationsexperte für Unternehmen wie Carroux Caffee, Freitag Lab AG, Messe München oder Retail Brand Services sowie Institutionen wie dem Auswärtigen Amt. Seit 2004 verantwortet er pro bono den European Fashion Award FASH der SDBI.DE www.schirrmacher.org
Ziele wie „klimaneutral bis 2030“, erscheinen beruhigend. Klingen sie doch fast so, als ob die Herausforderung schon bewältigt wäre. Der gleiche Konsum in Grün, ganz ohne schlechtes Gewissen. Die Analysen zeigen indes klar: Allein mit besserer Technik ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Die Umweltforscherin Dr. Sonja Geiger schätzt, dass der gesamte Konsum in Deutschland um 75 Prozent des Durchschnitts-
verbrauchs sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.
Es braucht klare gesetzliche Regelungen, Änderungen im Design der Textilien und noch sehr viel Forschung. Dabei ist die größte Herausforderung, die große Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen. Welche Optionen haben wir?
Von Joachim Schirrmacher
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Entscheidend ist, dass jeder viele kleine Schritte geht und sein Verhalten ändert. Und zwar ab sofort. Ob im Job oder Privat. Wir haben fast immer die Wahl einer besseren Alternative – ASAP: „as sustainable as possible“.
Bewusster Konsum
Nachhaltige Kleidung fängt nicht bei zertifizierter Bio-Mode an, sondern beim bewussten Konsum. Vivienne Westwood brachte es auf den Punkt: „Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es möglichst lange.“
Der wichtigste Hebel ist, die Kleidung länger zu tragen, idealerweise bis zum Verschleiß. Das bedingt eine langlebige Qualität, ein zeitloses Design und vor allem, dass man die Kleidung gerne trägt. Der sorgsame Umgang mit Kleidung, sie zu pflegen und zu reparieren ist die beste Form von Nachhaltigkeit. Dies sollte wieder in Familien und Schulen vermittelt werden. Statt gleich neue Kleidung zu kaufen, sollte man zunächst online schauen, ob es ein ähnliches Teil auch als Secondhand Artikel gibt. Das spart meist auch Geld. Ungewolltes sollte man tauschen, umnähen oder als Secondhand verkaufen bzw. spenden. Bewusst einkaufen heißt, jeden einzelnen Kauf zu hinterfragen, erst mal eine Runde um den Block laufen oder eine Nacht darüber schlafen: Ist das Teil wirklich notwendig? Passt das Kleidungsstück zum Rest der Garderobe? Einen Überblick empfehlenswerter Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS, Fair Wear Foundation oder BlueSign gibt das Portal siegelklarheit.de
Eine Möglichkeit, seine Modelust auszuleben ohne neue Kleider zu produzieren ist „Virtual Fashion“ z.B. von The Fabricant. Sie wird entweder als Avatar in Games präsentiert oder als Filter über den eigenen Fotos (z.B. von Dressx) auf Instagram, TikTok, etc. als „mixed Reality“ vielfach geteilt.
Und schließlich wäre ein Verbot kostenloser Retouren sicher ein Schritt, der viel bewirken könnte.
Hochwertigere Materialien
Sie dienen der Erhöhung der Haltbarkeit von Kleidung. Dies ist stark abhängig davon, was Materialien kosten dürfen. Das muss sicher mehr sein, als aktuell die maximal 3 Euro bei einer der größten deutschen Marken. Effektiv ist es, bei bewährten Standardqualitäten anzufangen, die in großen Mengen über viele Saisons genutzt werden.
Auch eine verpflichtende Nutzung von Recycling-Materialien nach dem Vorbild der Niederlande ist sinnvoll: dort wird für das Jahr 2025 ein Recyclinganteil von 25 Prozent vorgeschrieben. Damit wird ein Markt für Recycling-Materialien geschaffen.
Weniger und langlebigere Kleidung bedeutet im Übrigen wertvollere Kleidung und nicht zwangsläufig sinkende Umsätze für Hersteller und Händler. Zudem fallen weniger Transporte an.
Design for Recycling
Die Designphase bestimmt laut Bundesumweltministerium bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts. Die Haltbarkeit, leichtes Reparieren und Recyceln sind wesentlich beeinflusst von sortenreinen Materialien oder der richtigen Wahl von Verzierungen und Aufdrucken. Hinzu kommt, dass alle Komponenten wie Stoffe, Reisverschlüsse, Nieten, Knöpfe oder Applikationen gut getrennt werden können. Das gibt auch Chancen für eine neue, spezifische Ästhetik.
Design for Reycling ist noch vor allem Theorie, es gibt bislang wenig Wissen, Aus- und Fortbildung oder gar Kollektionen. Die EU-Textilstrategie sieht 2024 die Einführung verbindlicher Leistungsanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Textilerzeugnissen vor, sowie einen Mindestgehalt an recycelten Stoffen.
Mehr Forschung
Der Forschungsbedarf ist enorm. Inbesondere durch die EU-Textilstrategie, die verstärkt auf Faser-zu-Faser-Recycling setzt und Ausschreibungen bis 2027 im Rahmen von Horizont Europa vorsieht.
Weitere Themen sind unter anderem das Konsumverhalten mit dem Ziel „Weniger aber besser“, Materialien und Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Mikroplastik, neue Geschäftsmodelle (digitale Prozesse, KI-Prognostik), aber auch neue Produktionsmethoden wie z.B. der weitgehend automatisierten Einzelstückfertigung mit 3D-Strick. Als indiviualsierte Einzelstücke im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ 2007 entstanden (bei dem ich das Designmanagement verantwortet habe), später als vergleichbares Konzept im Rahmen von Adidas Speedfactory 2017 als „knit-for-you“ präsentiert. Obwohl Adidas dieses wegweisende Projekt viel zu früh wieder einstellte: man muss sich nur mal vorstellen, wie Apple diese Technologie führen würde, wie sie zum Beispiel bei Marc Chain in Bodelshausen steht.
Bekämpfung von Greenwashing und geschützte Siegel
Allgemeine Angaben wie „grün“ oder „umweltschonend“ sind nach der EU-Textilstrategie nur noch erlaubt, wenn eine hervorragende Umweltleistung z.B. durch anerkannte Umweltzeichen nachgewiesen wurde. Freiwillige Nachhaltigkeitssiegel müssen sich auf eine Überprüfung durch Dritte stützen oder von Behörden vergeben werden. Zudem gibt es EU-Mindestkriterien für Angaben wie „klimaneutral bis 2030“. 2024 werden die Kriterien des EU-Umweltzeichens für Textilien und Schuhe überarbeitet. Zudem prüft die Kommission die Einführung eines digitalen Etiketts. Das wäre eine große Hilfe beim Recyling, darf aber zum Beispiel in Modegeschäften nicht ausgelesen werden können.
Gesetzliche Regelungen
Ähnlich wie für Verpackungen, Fahrzeuge, Elektro- und Elektronikgeräte plädieren die Verbände Zukunft Textil und BVSE für eine Entsorgungsgebühr im Rahmen der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR) nach dem Vorbild von Frankreich (seit 2007), Estland (2015), Bulgarien (2021), Italien (2022), Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande (alle ab 2023) und Portugal(ab 2025). Auch die EU-Textilstrategie plant solche Gebühren.
Der umfangreiche Maßnahmenkatalog der EU-Textilstrategie sieht unter anderen vor:
– Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte und von Retouren
– Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik
– Anreize und Leitlinien (2024) für die Kreislaufwirtschaft, wie Wiederverwendung, Vermietung, Reparatur und dem Einzelhandel mit Secondhandmode inkl. Designkriterien sowie Technologie-Fahrplan für das Textilrecycling (2022).
– Förderung von Forschung und Investitionen in Innovationen, wie z.B. neuen biobasierten Textilfasern
– Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz (2023)
– Grenzübergreifende Marktüberwachung und Bekämpfung von Nachahmungen (2022)
Haben wir eine Wahl?
Am Ende bedroht der Überkonsum nicht nur die Umwelt, sondern auch viele Geschäftsmodelle. „Die globale Bekleidungsindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen über ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden wird“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Spitzenverbandes Textil + Mode. Und für den Handel sind laut dem Institut für Handelsforschung die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung gravierender als die Digitalisierung. „Durch einen Konsumverzicht wird die Grundlage des Geschäftsmodells entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.“ Die Maßnahmen der Europäischen Union werden weitere starke Auswirkungen haben.
Da die Geschäftsgrundlage bedroht ist, müssen Investoren und Aufsichtsräte auf die Transformation des Kerngeschäftes drängen und sollten sich nicht weiter von Vorzeigeprojekten blenden lassen. Dafür benötigen sie zwingend Sachverstand entlang der gesamten textilen Kette, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Und sie müssen die notwendigen Investitionen zur Verfügung stellen.
Die Herausforderungen sind so groß, dass wir viel stärker in Alternativen denken sollten. Fatal wäre, wenn wir uns zu früh auf ersten Achtungserfolgen ausruhen. Gerade Medien kommt hier eine Verantwortung zu, erste Forschungsergebnisse nicht als neue Realität anzukündigen.
Menschen sind immer wieder über sich hinausgewachsen. Der Flug zum Mond zeigte, welche ungeahnten Kräfte ein großes Ziel freisetzt. In der Corona Pandemie zeigte die Modeindustrie mit der Umstellung auf Maskenproduktion erneut, dass in kurzer Zeit viel bewirkt werden kann.
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Joachim Schirrmacher
Nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann studierte er Designmanagement mit Schwerpunkten wie Ökologie oder Gender. Seit 1994 beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit Nachhaltiger Mode. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Autor (Chefredakteur Style in Progress, Tagesspiegel, NZZ), Sprecher (Copenhagen Business School, Goethe-Institut, HDS/L) und Kommunikationsexperte für Unternehmen wie Carroux Caffee, Freitag Lab AG, Messe München oder Retail Brand Services sowie Institutionen wie dem Auswärtigen Amt. Seit 2004 verantwortet er pro bono den European Fashion Award FASH der SDBI.DE www.schirrmacher.org
Ziele wie „klimaneutral bis 2030“, erscheinen beruhigend. Klingen sie doch fast so, als ob die Herausforderung schon bewältigt wäre. Der gleiche Konsum in Grün, ganz ohne schlechtes Gewissen. Die Analysen zeigen indes klar: Allein mit besserer Technik ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Die Umweltforscherin Dr. Sonja Geiger schätzt, dass der gesamte Konsum in Deutschland um 75 Prozent des Durchschnitts-
verbrauchs sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.
Es braucht klare gesetzliche Regelungen, Änderungen im Design der Textilien und noch sehr viel Forschung. Dabei ist die größte Herausforderung, die große Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen. Welche Optionen haben wir?
Von Joachim Schirrmacher
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Entscheidend ist, dass jeder viele kleine Schritte geht und sein Verhalten ändert. Und zwar ab sofort. Ob im Job oder Privat. Wir haben fast immer die Wahl einer besseren Alternative – ASAP: „as sustainable as possible“.
Bewusster Konsum
Nachhaltige Kleidung fängt nicht bei zertifizierter Bio-Mode an, sondern beim bewussten Konsum. Vivienne Westwood brachte es auf den Punkt: „Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es möglichst lange.“
Der wichtigste Hebel ist, die Kleidung länger zu tragen, idealerweise bis zum Verschleiß. Das bedingt eine langlebige Qualität, ein zeitloses Design und vor allem, dass man die Kleidung gerne trägt. Der sorgsame Umgang mit Kleidung, sie zu pflegen und zu reparieren ist die beste Form von Nachhaltigkeit. Dies sollte wieder in Familien und Schulen vermittelt werden. Statt gleich neue Kleidung zu kaufen, sollte man zunächst online schauen, ob es ein ähnliches Teil auch als Secondhand Artikel gibt. Das spart meist auch Geld. Ungewolltes sollte man tauschen, umnähen oder als Secondhand verkaufen bzw. spenden. Bewusst einkaufen heißt, jeden einzelnen Kauf zu hinterfragen, erst mal eine Runde um den Block laufen oder eine Nacht darüber schlafen: Ist das Teil wirklich notwendig? Passt das Kleidungsstück zum Rest der Garderobe? Einen Überblick empfehlenswerter Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS, Fair Wear Foundation oder BlueSign gibt das Portal siegelklarheit.de
Eine Möglichkeit, seine Modelust auszuleben ohne neue Kleider zu produzieren ist „Virtual Fashion“ z.B. von The Fabricant. Sie wird entweder als Avatar in Games präsentiert oder als Filter über den eigenen Fotos (z.B. von Dressx) auf Instagram, TikTok, etc. als „mixed Reality“ vielfach geteilt.
Und schließlich wäre ein Verbot kostenloser Retouren sicher ein Schritt, der viel bewirken könnte.
Hochwertigere Materialien
Sie dienen der Erhöhung der Haltbarkeit von Kleidung. Dies ist stark abhängig davon, was Materialien kosten dürfen. Das muss sicher mehr sein, als aktuell die maximal 3 Euro bei einer der größten deutschen Marken. Effektiv ist es, bei bewährten Standardqualitäten anzufangen, die in großen Mengen über viele Saisons genutzt werden.
Auch eine verpflichtende Nutzung von Recycling-Materialien nach dem Vorbild der Niederlande ist sinnvoll: dort wird für das Jahr 2025 ein Recyclinganteil von 25 Prozent vorgeschrieben. Damit wird ein Markt für Recycling-Materialien geschaffen.
Weniger und langlebigere Kleidung bedeutet im Übrigen wertvollere Kleidung und nicht zwangsläufig sinkende Umsätze für Hersteller und Händler. Zudem fallen weniger Transporte an.
Design for Recycling
Die Designphase bestimmt laut Bundesumweltministerium bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts. Die Haltbarkeit, leichtes Reparieren und Recyceln sind wesentlich beeinflusst von sortenreinen Materialien oder der richtigen Wahl von Verzierungen und Aufdrucken. Hinzu kommt, dass alle Komponenten wie Stoffe, Reisverschlüsse, Nieten, Knöpfe oder Applikationen gut getrennt werden können. Das gibt auch Chancen für eine neue, spezifische Ästhetik.
Design for Reycling ist noch vor allem Theorie, es gibt bislang wenig Wissen, Aus- und Fortbildung oder gar Kollektionen. Die EU-Textilstrategie sieht 2024 die Einführung verbindlicher Leistungsanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Textilerzeugnissen vor, sowie einen Mindestgehalt an recycelten Stoffen.
Mehr Forschung
Der Forschungsbedarf ist enorm. Inbesondere durch die EU-Textilstrategie, die verstärkt auf Faser-zu-Faser-Recycling setzt und Ausschreibungen bis 2027 im Rahmen von Horizont Europa vorsieht.
Weitere Themen sind unter anderem das Konsumverhalten mit dem Ziel „Weniger aber besser“, Materialien und Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Mikroplastik, neue Geschäftsmodelle (digitale Prozesse, KI-Prognostik), aber auch neue Produktionsmethoden wie z.B. der weitgehend automatisierten Einzelstückfertigung mit 3D-Strick. Als indiviualsierte Einzelstücke im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ 2007 entstanden (bei dem ich das Designmanagement verantwortet habe), später als vergleichbares Konzept im Rahmen von Adidas Speedfactory 2017 als „knit-for-you“ präsentiert. Obwohl Adidas dieses wegweisende Projekt viel zu früh wieder einstellte: man muss sich nur mal vorstellen, wie Apple diese Technologie führen würde, wie sie zum Beispiel bei Marc Chain in Bodelshausen steht.
Bekämpfung von Greenwashing und geschützte Siegel
Allgemeine Angaben wie „grün“ oder „umweltschonend“ sind nach der EU-Textilstrategie nur noch erlaubt, wenn eine hervorragende Umweltleistung z.B. durch anerkannte Umweltzeichen nachgewiesen wurde. Freiwillige Nachhaltigkeitssiegel müssen sich auf eine Überprüfung durch Dritte stützen oder von Behörden vergeben werden. Zudem gibt es EU-Mindestkriterien für Angaben wie „klimaneutral bis 2030“. 2024 werden die Kriterien des EU-Umweltzeichens für Textilien und Schuhe überarbeitet. Zudem prüft die Kommission die Einführung eines digitalen Etiketts. Das wäre eine große Hilfe beim Recyling, darf aber zum Beispiel in Modegeschäften nicht ausgelesen werden können.
Gesetzliche Regelungen
Ähnlich wie für Verpackungen, Fahrzeuge, Elektro- und Elektronikgeräte plädieren die Verbände Zukunft Textil und BVSE für eine Entsorgungsgebühr im Rahmen der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR) nach dem Vorbild von Frankreich (seit 2007), Estland (2015), Bulgarien (2021), Italien (2022), Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande (alle ab 2023) und Portugal(ab 2025). Auch die EU-Textilstrategie plant solche Gebühren.
Der umfangreiche Maßnahmenkatalog der EU-Textilstrategie sieht unter anderen vor:
– Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte und von Retouren
– Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik
– Anreize und Leitlinien (2024) für die Kreislaufwirtschaft, wie Wiederverwendung, Vermietung, Reparatur und dem Einzelhandel mit Secondhandmode inkl. Designkriterien sowie Technologie-Fahrplan für das Textilrecycling (2022).
– Förderung von Forschung und Investitionen in Innovationen, wie z.B. neuen biobasierten Textilfasern
– Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz (2023)
– Grenzübergreifende Marktüberwachung und Bekämpfung von Nachahmungen (2022)
Haben wir eine Wahl?
Am Ende bedroht der Überkonsum nicht nur die Umwelt, sondern auch viele Geschäftsmodelle. „Die globale Bekleidungsindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen über ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden wird“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Spitzenverbandes Textil + Mode. Und für den Handel sind laut dem Institut für Handelsforschung die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung gravierender als die Digitalisierung. „Durch einen Konsumverzicht wird die Grundlage des Geschäftsmodells entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.“ Die Maßnahmen der Europäischen Union werden weitere starke Auswirkungen haben.
Da die Geschäftsgrundlage bedroht ist, müssen Investoren und Aufsichtsräte auf die Transformation des Kerngeschäftes drängen und sollten sich nicht weiter von Vorzeigeprojekten blenden lassen. Dafür benötigen sie zwingend Sachverstand entlang der gesamten textilen Kette, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Und sie müssen die notwendigen Investitionen zur Verfügung stellen.
Die Herausforderungen sind so groß, dass wir viel stärker in Alternativen denken sollten. Fatal wäre, wenn wir uns zu früh auf ersten Achtungserfolgen ausruhen. Gerade Medien kommt hier eine Verantwortung zu, erste Forschungsergebnisse nicht als neue Realität anzukündigen.
Menschen sind immer wieder über sich hinausgewachsen. Der Flug zum Mond zeigte, welche ungeahnten Kräfte ein großes Ziel freisetzt. In der Corona Pandemie zeigte die Modeindustrie mit der Umstellung auf Maskenproduktion erneut, dass in kurzer Zeit viel bewirkt werden kann.
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Joachim Schirrmacher
Nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann studierte er Designmanagement mit Schwerpunkten wie Ökologie oder Gender. Seit 1994 beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit Nachhaltiger Mode. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Autor (Chefredakteur Style in Progress, Tagesspiegel, NZZ), Sprecher (Copenhagen Business School, Goethe-Institut, HDS/L) und Kommunikationsexperte für Unternehmen wie Carroux Caffee, Freitag Lab AG, Messe München oder Retail Brand Services sowie Institutionen wie dem Auswärtigen Amt. Seit 2004 verantwortet er pro bono den European Fashion Award FASH der SDBI.DE www.schirrmacher.org
Ziele wie „klimaneutral bis 2030“, erscheinen beruhigend. Klingen sie doch fast so, als ob die Herausforderung schon bewältigt wäre. Der gleiche Konsum in Grün, ganz ohne schlechtes Gewissen. Die Analysen zeigen indes klar: Allein mit besserer Technik ist die Klimakrise nicht zu bewältigen. Die Umweltforscherin Dr. Sonja Geiger schätzt, dass der gesamte Konsum in Deutschland um 75 Prozent des Durchschnitts-
verbrauchs sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.
Es braucht klare gesetzliche Regelungen, Änderungen im Design der Textilien und noch sehr viel Forschung. Dabei ist die größte Herausforderung, die große Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen. Welche Optionen haben wir?
Von Joachim Schirrmacher
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Entscheidend ist, dass jeder viele kleine Schritte geht und sein Verhalten ändert. Und zwar ab sofort. Ob im Job oder Privat. Wir haben fast immer die Wahl einer besseren Alternative – ASAP: „as sustainable as possible“.
Bewusster Konsum
Nachhaltige Kleidung fängt nicht bei zertifizierter Bio-Mode an, sondern beim bewussten Konsum. Vivienne Westwood brachte es auf den Punkt: „Qualität statt Quantität: Kaufe weniger, wähle dafür gut aus und trage es möglichst lange.“
Der wichtigste Hebel ist, die Kleidung länger zu tragen, idealerweise bis zum Verschleiß. Das bedingt eine langlebige Qualität, ein zeitloses Design und vor allem, dass man die Kleidung gerne trägt. Der sorgsame Umgang mit Kleidung, sie zu pflegen und zu reparieren ist die beste Form von Nachhaltigkeit. Dies sollte wieder in Familien und Schulen vermittelt werden. Statt gleich neue Kleidung zu kaufen, sollte man zunächst online schauen, ob es ein ähnliches Teil auch als Secondhand Artikel gibt. Das spart meist auch Geld. Ungewolltes sollte man tauschen, umnähen oder als Secondhand verkaufen bzw. spenden. Bewusst einkaufen heißt, jeden einzelnen Kauf zu hinterfragen, erst mal eine Runde um den Block laufen oder eine Nacht darüber schlafen: Ist das Teil wirklich notwendig? Passt das Kleidungsstück zum Rest der Garderobe? Einen Überblick empfehlenswerter Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS, Fair Wear Foundation oder BlueSign gibt das Portal siegelklarheit.de
Eine Möglichkeit, seine Modelust auszuleben ohne neue Kleider zu produzieren ist „Virtual Fashion“ z.B. von The Fabricant. Sie wird entweder als Avatar in Games präsentiert oder als Filter über den eigenen Fotos (z.B. von Dressx) auf Instagram, TikTok, etc. als „mixed Reality“ vielfach geteilt.
Und schließlich wäre ein Verbot kostenloser Retouren sicher ein Schritt, der viel bewirken könnte.
Hochwertigere Materialien
Sie dienen der Erhöhung der Haltbarkeit von Kleidung. Dies ist stark abhängig davon, was Materialien kosten dürfen. Das muss sicher mehr sein, als aktuell die maximal 3 Euro bei einer der größten deutschen Marken. Effektiv ist es, bei bewährten Standardqualitäten anzufangen, die in großen Mengen über viele Saisons genutzt werden.
Auch eine verpflichtende Nutzung von Recycling-Materialien nach dem Vorbild der Niederlande ist sinnvoll: dort wird für das Jahr 2025 ein Recyclinganteil von 25 Prozent vorgeschrieben. Damit wird ein Markt für Recycling-Materialien geschaffen.
Weniger und langlebigere Kleidung bedeutet im Übrigen wertvollere Kleidung und nicht zwangsläufig sinkende Umsätze für Hersteller und Händler. Zudem fallen weniger Transporte an.
Design for Recycling
Die Designphase bestimmt laut Bundesumweltministerium bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produkts. Die Haltbarkeit, leichtes Reparieren und Recyceln sind wesentlich beeinflusst von sortenreinen Materialien oder der richtigen Wahl von Verzierungen und Aufdrucken. Hinzu kommt, dass alle Komponenten wie Stoffe, Reisverschlüsse, Nieten, Knöpfe oder Applikationen gut getrennt werden können. Das gibt auch Chancen für eine neue, spezifische Ästhetik.
Design for Reycling ist noch vor allem Theorie, es gibt bislang wenig Wissen, Aus- und Fortbildung oder gar Kollektionen. Die EU-Textilstrategie sieht 2024 die Einführung verbindlicher Leistungsanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Textilerzeugnissen vor, sowie einen Mindestgehalt an recycelten Stoffen.
Mehr Forschung
Der Forschungsbedarf ist enorm. Inbesondere durch die EU-Textilstrategie, die verstärkt auf Faser-zu-Faser-Recycling setzt und Ausschreibungen bis 2027 im Rahmen von Horizont Europa vorsieht.
Weitere Themen sind unter anderem das Konsumverhalten mit dem Ziel „Weniger aber besser“, Materialien und Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Mikroplastik, neue Geschäftsmodelle (digitale Prozesse, KI-Prognostik), aber auch neue Produktionsmethoden wie z.B. der weitgehend automatisierten Einzelstückfertigung mit 3D-Strick. Als indiviualsierte Einzelstücke im Forschungsprojekt „Design Reaktor Berlin“ 2007 entstanden (bei dem ich das Designmanagement verantwortet habe), später als vergleichbares Konzept im Rahmen von Adidas Speedfactory 2017 als „knit-for-you“ präsentiert. Obwohl Adidas dieses wegweisende Projekt viel zu früh wieder einstellte: man muss sich nur mal vorstellen, wie Apple diese Technologie führen würde, wie sie zum Beispiel bei Marc Chain in Bodelshausen steht.
Bekämpfung von Greenwashing und geschützte Siegel
Allgemeine Angaben wie „grün“ oder „umweltschonend“ sind nach der EU-Textilstrategie nur noch erlaubt, wenn eine hervorragende Umweltleistung z.B. durch anerkannte Umweltzeichen nachgewiesen wurde. Freiwillige Nachhaltigkeitssiegel müssen sich auf eine Überprüfung durch Dritte stützen oder von Behörden vergeben werden. Zudem gibt es EU-Mindestkriterien für Angaben wie „klimaneutral bis 2030“. 2024 werden die Kriterien des EU-Umweltzeichens für Textilien und Schuhe überarbeitet. Zudem prüft die Kommission die Einführung eines digitalen Etiketts. Das wäre eine große Hilfe beim Recyling, darf aber zum Beispiel in Modegeschäften nicht ausgelesen werden können.
Gesetzliche Regelungen
Ähnlich wie für Verpackungen, Fahrzeuge, Elektro- und Elektronikgeräte plädieren die Verbände Zukunft Textil und BVSE für eine Entsorgungsgebühr im Rahmen der „erweiterten Herstellerverantwortung“ (EPR) nach dem Vorbild von Frankreich (seit 2007), Estland (2015), Bulgarien (2021), Italien (2022), Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande (alle ab 2023) und Portugal(ab 2025). Auch die EU-Textilstrategie plant solche Gebühren.
Der umfangreiche Maßnahmenkatalog der EU-Textilstrategie sieht unter anderen vor:
– Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte und von Retouren
– Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik
– Anreize und Leitlinien (2024) für die Kreislaufwirtschaft, wie Wiederverwendung, Vermietung, Reparatur und dem Einzelhandel mit Secondhandmode inkl. Designkriterien sowie Technologie-Fahrplan für das Textilrecycling (2022).
– Förderung von Forschung und Investitionen in Innovationen, wie z.B. neuen biobasierten Textilfasern
– Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Umsatz (2023)
– Grenzübergreifende Marktüberwachung und Bekämpfung von Nachahmungen (2022)
Haben wir eine Wahl?
Am Ende bedroht der Überkonsum nicht nur die Umwelt, sondern auch viele Geschäftsmodelle. „Die globale Bekleidungsindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen über ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden wird“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Spitzenverbandes Textil + Mode. Und für den Handel sind laut dem Institut für Handelsforschung die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung gravierender als die Digitalisierung. „Durch einen Konsumverzicht wird die Grundlage des Geschäftsmodells entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.“ Die Maßnahmen der Europäischen Union werden weitere starke Auswirkungen haben.
Da die Geschäftsgrundlage bedroht ist, müssen Investoren und Aufsichtsräte auf die Transformation des Kerngeschäftes drängen und sollten sich nicht weiter von Vorzeigeprojekten blenden lassen. Dafür benötigen sie zwingend Sachverstand entlang der gesamten textilen Kette, um überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können. Und sie müssen die notwendigen Investitionen zur Verfügung stellen.
Die Herausforderungen sind so groß, dass wir viel stärker in Alternativen denken sollten. Fatal wäre, wenn wir uns zu früh auf ersten Achtungserfolgen ausruhen. Gerade Medien kommt hier eine Verantwortung zu, erste Forschungsergebnisse nicht als neue Realität anzukündigen.
Menschen sind immer wieder über sich hinausgewachsen. Der Flug zum Mond zeigte, welche ungeahnten Kräfte ein großes Ziel freisetzt. In der Corona Pandemie zeigte die Modeindustrie mit der Umstellung auf Maskenproduktion erneut, dass in kurzer Zeit viel bewirkt werden kann.
Zum Teil I der Analyse „Spirale statt Kreis“
Joachim Schirrmacher
Nach seiner Lehre zum Einzelhandelskaufmann studierte er Designmanagement mit Schwerpunkten wie Ökologie oder Gender. Seit 1994 beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit Nachhaltiger Mode. Er arbeitet seit über 20 Jahren als Autor (Chefredakteur Style in Progress, Tagesspiegel, NZZ), Sprecher (Copenhagen Business School, Goethe-Institut, HDS/L) und Kommunikationsexperte für Unternehmen wie Carroux Caffee, Freitag Lab AG, Messe München oder Retail Brand Services sowie Institutionen wie dem Auswärtigen Amt. Seit 2004 verantwortet er pro bono den European Fashion Award FASH der SDBI.DE www.schirrmacher.org